■ Fidel Castro wird heute 70 Jahre alt. Ein kubanischer Journalist schaut auf die gemeinsame Lebenszeit zurück: Kämpfen wie ein Löwe...
Auf der Rückseite des Zehnpesoscheins Kubas bin ich zusammen mit Fidel Castro zu sehen. Die Darstellung zeigt, wie Fidel auf dem Platz der Revolution vor einer Million Menschen die „Erklärung von Havanna“ verliest. Sein Gesicht ist im Vordergrund klar im Halbprofil zu erkennen; meines verliert sich in der Menge.
Heute hat er Geburtstag. Fidel (wie ihn seine Anhänger nennen) Castro (wie ihn seine Feinde nennen) war der jüngste und ist der älteste Staatschef in der Geschichte Kubas. Von den 70 Jahren seines Lebens hat er 37 im Amt verbracht. Er ist der dienstälteste Regierungschef des Planeten. Er hat die höchsten Auszeichnungen aller ehemaligen sozialistischen Staaten (und vieler, die dies nie waren). Er ist Doktor honoris causa von mehr als einem Dutzend Universitäten und Ehrenbürger von noch mehr Städten. Er hat, so die Zählung, mehr als 30 Attentate und 9 US- Präsidenten überlebt.
Filmstars und Sportidole, Nobelpreisträger verschiedenster Disziplinen und Politiker verschiedenster Ideologien sind nach Kuba gereist, um mit ihm zusammen auf einem Foto verewigt zu werden. Hunderte von Büchern wurden über sein Leben und über seine Politik geschrieben, die Tonbänder mit den Aufzeichnungen seiner Reden und Interviews würden mehrmals den Globus umspannen, und natürlich sind sie auch im Internet abrufbar.
Ich war 11 in jenem Januar 1959, als er aus dem Guerillakrieg von den Bergen herabstieg und in Havanna einzog; er war damals 33, so alt wie Jesus bei seinem Tode. Ich sagte damals feierlich den Reim auf: „Und daß der Schatten sich in Licht verwandelt hat, das trägt einen und nur einen Namen: Fidel Castro Ruz“ (was sich halt im Spanischen auf luz reimt, d. Ü.). Etwas später trällerte ich ein Lied mit dem Refrain: „Wenn Fidel ein Kommunist ist, dann setzt auch mich auf die Liste!“ Ich rief die Parole: „Fidel, Fidel, sag uns, welches unsere nächste Aufgabe ist!“ Bei der Raketenkrise 1962 schrie ich: „Was macht Fidel so stark, daß die Amis ihn nicht kleinkriegen?!“ und natürlich auch: „Fidel, so ist's richtig, gib's dem Yankee immer tüchtig!“
Es ist leicht, für oder gegen Fidel Castro zu sein. Schwieriger ist es, gleichgültig zu bleiben. Das ausgewogenste Urteil, das mir einfällt: Fidel Castro gebührt aller Ruhm der Errungenschaften der Revolution, und alle Schuld ihrer Fehlschläge. Man weiß – oder man kann es zumindest annehmen –, daß jemand, der mit dem Gewehr in der Hand die Macht erobert und seine Gegner ins Gefängnis steckt, kein Engel sein kann. Man weiß aber auch, daß jemand, der die Souveränität seiner Nation erkämpft hat und dem Volk den Zugang zu Schulen und Universitäten, Gesundheits- und Altersversorgung garantiert, kein völliger Teufel sein kann.
Eine der vielen Legenden um Fidel Castro erzählen, daß er, als Jugendlicher nach seinem innigsten Wunsch befragt, zur Antwort gab: „Mein Traum ist, daß mein Name in der Geschichte Kubas auftaucht, und sei es auch nur in einer einzigen Zeile.“ Heute wird er 70 Jahre alt, und der Vorsitzende des Staats- und Ministerrats der Republik Kuba, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Maximo Lider der kubanischen Revolution, der Oberkommandierende Fidel Castro Ruz kann sicher sein, daß die kubanische Geschichte nicht geschrieben wird, ohne seinen Namen zu erwähnen. Und er dürfte seinen Traum übertroffen haben: Nicht nur die kubanische, auch keine Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts wird ohne eine Zeile zu ihm auskommen.
Ich weinte, als Fidel 1965 den Abschiedsbrief von Che Guevara verlas, und ich kämpfte auch mit den Tränen, als er 1970 bekanntgab, daß das große Ziel der Zehn- Millionen-Tonnen-Zuckerrohrernte nicht erreicht worden war. Nie verpaßte ich eine seiner großen öffentlichen Reden; in den kurzen Momenten vor dem Auftritt, in denen er mit den Mikrofonen spielte, während die Menge wie im Delirium seinen Namen rief, übten wir uns jedesmal in dem Spiel, in seinen Gesichtszügen zu erraten, was die kommende Rede bringen würde.
Dann kam der lange Krieg in Angola, in den über 15 Jahre hinweg Hunderttausende von Kubanern und Kubanerinnen verwickelt wurden und aus dem zwei meiner besten Freunde nicht lebend zurückkehrten. Es kam die Massenflucht über den Hafen von Mariel 1980, wo mehr als hunderttausend Menschen die Insel für immer verließen, darunter jene Frau, die ich wie ein Verrückter liebte. Es kam der „Prozeß zur Berichtigung von Irrtümern“ 1986, in dem meine Hoffnungen zerstoben, den Sozialismus verbessern zu können.
Es kam die Hinrichtung des Generals Ochoa 1989, der der höchstdekorierte „Held der Republik war“ und als Drogenhändler und Vaterlandsverräter erschossen wurde. Es kamen die Bootsflüchtlinge von 1994, die zeigten, daß die Parole „Sozialismus oder Tod“ sich für Zehntausende als die Alternative darstellte, weiter auf der Insel zu leben oder sie auf improvisierten Flößen über ein Meer voller Haie zu verlassen.
Es würde zu lange dauern, die ganze Geschichte zu erzählen. Ich war damals 11, und jetzt bin ich 49; und er wird 70.
In all diesen Jahren hat Fidel Castro eine Unzahl von freundlichen oder weniger freundlichen Spitznamen bekommen, bis hin zu den Namen der Bösewichte aus brasilianischen TV-Schnulzen oder denen tropischer Wirbelstürme, die die Insel verwüstet hatten. Die Bezeichnung aber, die sich bei den Kubanern und Kubanerinnen mit Abstand am dauerhaftesten behauptet hat, ist schlicht: Er.
Heute wird er vielleicht das eine oder andere seiner verstreuten Kinder sehen, vielleicht wird es ein kleines Familientreffen geben. Er wird zu einem Treffen der Pioniere gehen und einen großen Kuchen anschneiden, und er wird bei einer Feier mit vorbildlichen Arbeitern Prämien und Urkunden verteilen. Aus aller Welt wird es Glückwunschtelegramme geben. Ich habe die Vorahnung, daß etwas ganz Ähnliches auch in 10 und in 20 Jahren stattfinden wird. Wenn Kuba bis dahin noch am Leben ist. Reynaldo Escobar
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