■ Querspalte: Vom Sockel gekippt
In Rußland ist der Teufel los. Schon seit längerem. Doch jetzt wird es immer toller. Die tschetschenischen Rebellen oder – je nach Lesart – Unabhängigkeitskämpfer wollen nicht klein beigeben. Und Präsident Boris Jelzin ist kränklich, so sehr sogar, daß der Sanatoriumsbeauftragte der Regierung den Kreml nur noch von Postkarten kennt.
Damit nicht genug: Jetzt macht auch noch die russische Jugend schlapp. Jüngst erst wurde im ostsibirischen Chorinsk ein 15jähriger von einer herabstürzenden Leninstatue erschlagen. Der Jugendliche hatte nach einem Diskothekenbesuch versucht, zusammen mit einigen anderen Amateur-Freeclimbern das zwei Meter hohe Monument zu besteigen. Und zwar, soviel sei berichtet, aus purer Lust und weil sonst nichts echt amüsant schien. Leider war das Gedenkteil nicht ordnungsgemäß befestigt und kippte vom Sockel. Nun ist wohl Schluß mit lustig.
Man könnte jetzt anhand dieses Einzelfalls die Menschenleben kostenden Schlampereien im einstigen Sowjetreich diskutieren oder auch über die unerbittliche Härte des Sozialismus gegenüber Dekadenz und Verweichlichung philosophieren. Wollen wir aber nicht, weil unsere guten Ratschläge sowieso in irgendwelchen mafiösen Kanälen versickern würden. Davon hätten nur die Dunkelmänner was. Das kann nun niemand mit gutem Gewissen wirklich wollen.
Nützlicher wäre praktische Hilfe. Unter der Schirmherrschaft des Entwicklungshilfeministeriums und gesponsert vom Allgemeinen Deutschen Automobilclub, kurz: ADAC, könnten deutsche Jugendliche gen Osten geschickt werden. Motto: Jugend reist, Jugend hilft. Ihren gleichaltrigen Schnapsbrüdern könnten sie dann zeigen, wie man einen Discoabend wirklich zünftig beschließt.
Nicht angeödet in der Gegend rumhängen, sondern aufgemotzte GTIs und hochgetunte Mantas an irgendwelchen Bäumen zerlegen. Dann hätten die gelangweilten Russen wenigstens einmal in ihrem Leben Spaß gehabt.
Na sdarowje! Clemens Gerlach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen