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Politische Verfolgung anerkannt

■ Harburger Flüchtling erstreitet vor Bundesverwaltungsgericht Grundsatzurteil für syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei Von Silke Mertins

Ein in Harburg lebender Flüchtling aus der Türkei hat dem Bundesverwaltungsgericht ein wichtiges Grundsatzurteil abgerungen: Binyamin Aykurt, syrisch-orthodoxer Christ, setzte in dritter Instanz durch, daß er als politisch Verfolgter anerkannt wird.

„Dieses Urteil ist nicht mehr anfechtbar“, freut sich seine Rechtsanwältin Sigrid Töpfer über den am 24. April zugestellten Beschluß. Schon zwei Mal war der Flüchtling von Gerichten auf Landesebene anerkannt worden. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten – eine Kontrollinstanz – hatte die Entscheidungen aber immer wieder angefochten.

Mit dem jetzigen Gerichtsbeschluß bekommen nicht nur die Aykurts eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie einen Flüchtlingspaß. Auch für andere in Deutschland lebende syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei ist die Rechtsunsicherheit damit beendet: „Alle noch schwebenden Asylverfahren müßten jetzt positiv entschieden werden“, meint Rechtsanwältin Töpfer. Das Karlsruher Gericht erkenne damit an, daß die aus der Region Tur-Adbin stammende christliche Minderheit als Gruppe – und nicht nur als Einzelpersonen – ethnischer und religiöser Verfolgung ausgesetzt sind. In Hamburg leben etwa 220 syrisch-orthodoxe Christen.

„In meinem Dorf Zaz gab es vor zehn Jahren 70 syrisch-orthodoxe Familien“, berichtet der Binyamin Aykurt. Heute lebe keine einzige mehr dort. Mit Morden, Entführungen und Drohungen haben Großgrundbesitzer, Dorfschützer und islamische Fundamentalisten erreicht, daß von über 30.000 der aramäisch sprechenden Christen nur noch etwa 2000 in Tur-Adbin übrig geblieben sind.

Zwar sei es nicht der türkische Staat, der die religiöse Minderheit in Tur-Adbin verfolge, so der Gerichtsbeschluß, aber „er ist nicht bereit, den syrisch-orthodoxen Christen Schutz zu gewähren“. So verfolge der Staat bespielsweise angezeigte Verbrechen gegen Christen nicht ernsthaft. Auch eine Flucht innerhalb der Türkei, begründet das Bundesverwaltungsgericht, ist nicht gegeben, da „am Ort der angenommenen Fluchtalternative keine Nachteile und Gefahren drohen dürfen“. Im höchstrichterlichen Klartext: Auch in Istanbul kann sich die christliche Minderheit nicht sicher fühlen...

„Die Verfolgungen durch Kurden und die feudalen Großgrundbesitzer sind schon immer massiv gewesen, aber sie haben sich jetzt erheblich verschärft“, sagt die Hamburger Türkei-Spezialistin und Mitarbeiterin von amnesty international, Barbara Neppert. Ihre Gutachten haben den Grundsatzbeschluß des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblich beeinflußt.

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