: Erfüllung aller Träume -betr.: Kleingartengebiet Waller Fleet
Betr.: Kleingartengebiet Waller Fleet
Sehr geehrter Herr Scherf, sehr geehrter Herr Schulte, seit einigen Wochen berichtet die Presse über Bemühungen der Baubehörde, „illegales Wohnen“ im Kleingartengebiet Waller Fleet zu beseitigen. Viele Kleingartenbesitzer befürchten, es handle sich um Vorbereitungen zur Umwandlung des Waller Fleet in ein Gewerbegebiet, andere haben Angst, ihre Wohnstätten zu verlieren. Einige sind regelmäßig Gäste in der „Tasse“, einer Tagesstätte für Wohnungslose in Walle. Sie können bei uns duschen, ihre Wäsche waschen und etwas zu essen und zu trinken erhalten. Ihr Wohnstatus ist insofern durchaus legal, als sie einem Parzellenbesitzer Pacht zahlen, andererseits sicherlich überwiegend unzulässig im Sinne der Bauordnunsgvorschriften.
Wir fürchten, daß vor allem sie es sind, gegen die sich die derzeitige Überprüfung richtet, und daß sie, weil ihnen keine Möglichkeiten des rechtlichen Widerstandes zur Verfügung stehen, deren erste Opfer sein werden.
Vielleicht können Sie sich das nicht so recht vorstellen, aber „Parzelle“, so der Sprachgebrauch, das ist für viele Menschen, die seit längerem ohne Wohnung lebten, die Erfüllung ihrer Träume. Kälte, ein undichtes Dach, mancherlei Umständlichkeiten, das alles wiegt nur gering angesichts der Tatsache, eine Unterkunft gefunden zu haben, die eine selbständige Lebensweise ermöglicht. Wir wissen inzwischen, wenn jemand bei uns nachfragt, ob er eine Tischdecke bekommen kann, dann ist das Schlimmste geschafft. „Parzelle“, das ist sehr oft die Chance zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Auf die Nachfrage einer Journalistin hat Herr Sagebiel dieser Tage versichert (taz Bremen, 3./4.8.1996), bei Sozialfällen müsse man sich überlegen, was zu tun sei. Für die Gäste der „Tasse“, die im Waller Fleet untergekommen sind, werden solche Überlegungen aller Erfahrung nach damit enden, daß sie auf die Möglichkeit hingewiesen werden, in den Einrichtungen für Wohnungslose unterzukommen. Wer „auf Parzelle“ lebt, geht aber lieber zurück auf die Straße als ins Jakobushaus oder in die Unterkunft in der Duckwitzstraße. Es ist ja gerade die Selbständigkeit, die „auf Parzelle“ zu erschwinglichen Kosten gesucht und gefunden wurde. Wir möchten Sie deshalb mit allem Nachdruck daran erinnern, daß sich Wohnungsnot nicht dadurch beseitigen läßt, daß „illegales Wohnen“ unterbunden wird.
Daß es heute auch legales Wohnen im Kleingartengebiet Waller Fleet gibt, verdankt sich der Menschlichkeit und der politischen Phantasie von Bürgermeister Kaisen. Auch zu seiner Zeit standen Bauordnungsvorschriften längerfristigem Aufenthalt im Kleingartengebiet entgegen. Sicherlich, die Wohnsituation entspricht heute nicht derjenigen nach dem Zweiten Weltkrieg, für manche Menschen erweist sie sich jedoch als kaum weniger katastrophal.
Die MitarbeiterInnen der „Tasse“
Betr.: Leserbrief von Günther Egidi In dem Leserbrief von Günther Egidi in der taz vom 10.8. ist uns ein Fehler unterlaufen: Günther Egidi schrieb nicht über „eheliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen“, sondern über „erhebliche“.
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