: Nur das Kaninchen biß zu
■ 1:1 gegen Hannover: St. Paulis Hypnose-Taktik mißlang Von Kai Mierow
Wir schreiben die 88. Minute: Linksfuß Martin Driller beweist Tordrang. Zwei Gegenspieler umkurvend, zieht er unnachahmlich in Richtung 96er Strafraum. Sein fulminanter Schuß aus 22 Metern springt vom Innenpfosten wieder ins Feld.
Hut ab, St.Pauli, wenn es dann doch noch zum Sieg gereicht hätte. Im Geiste (und eben nur da) einer „Klassemannschaft“ spielten die Hamburger jenen lahmarschig arroganten Kick, den der FC Bayern in seiner Glanzzeit zelebrierte. Nur, St.Pauli ist nicht München und Driller nicht Rummenigge. So bewahrheitete sich der (Un-)Sinnspruch, daß der Geist wohl willig, das Fleisch jedoch schwach ist. Im Kopf vermeintlich abgezockt und cool, fehlte es Millerntor-Mannen an der Umsetzung dieser Atribute auf dem Rasen. Eine Kopfgeburt, die sich in idealistischen Lüften tatenlos verfing, wurde auf den Boden der Realität zurückgeholt: durch ein müdes, den Aufstiegsambitionen nicht gerade zuträgliches 1:1 gegen die abtiegsgefährdete Neururer-Elf aus Hannover.
Dabei war die St.Pauli-Welt nach acht Minuten noch in Ordnung, als Driller aus acht Metern das 1:0 markierte. Danach bestürmten die Kiez-Kicker recht planlos den gegnerischen Kasten, übten sich beim Abschluß aber in hanseatischer Zurückhaltung. Statt gegen die nach dem Führungstreffer konsterniert wirkenden Hannoveraner die Vorentscheidung herbeizuführen, wurden die zahlreichen, meist durch gegnerische Abwehrfehler entstehenden Chancen nicht genutzt.
Nach der Pause verlegten sich die Hamburger Profis vor 20.000 Zuschauern ganz auf die Einschläfertaktik. Gewillt, es dem bayerischen Vorbild gleichzutun, warteten die Spieler wie eine Schlange auf den günstigsten Augenblick, dem Opfer den entscheidenden Biß zu versetzen.
Das war für die Millerntor-Kicker an taktischer Raffinesse dann doch zuviel. Die Schlange hypnotisierte sich selber; es biß das Kaninchen. Hannovers Roger Prinzen köpfte den Ball nach 55 Spielminuten unter die Latte, von wo die Kugel nach Meinung des Linienrichters eindeutig hinter die Linie sprang. St.Pauli-Goalie Klaus Thomforde war da allerdings gaaanz anderer Meinung.
Bei so viel Träumerei, ist es gut, daß der FC einen bodenständigen Trainer hat, der seine Mannen wieder in die Realität zurückholt. „Wir haben viel zu lasch gespielt“, gab Uli Maslo zu Protokoll, wohl wissend, daß die Analogie: Aufstiegsplatz gleich Spitzenteam nicht immer stimmig ist. Statt geistige Höhenflüge zu zelebrieren, sollten die Kicker sich vielleicht wieder an alte Tugenden („Kämpfen Pauli, kämpfen!!“) erinnern.
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