: „Warum erst nach 50 Jahren?“
■ Hamburg erinnert sich: Gedenken an die Ermordung der Kinder vom Bullenhuser Damm
Worte der Scham, Worte des Zorns, Worte der Trauer. Im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme, am Roman-Zeller-Platz in Burgwedel und im Plenarsaal der Bürgerschaft bemühten sich gestern Hamburgs politische Repräsentanten, das Gedenken an das Unaussprechliche in angemessene Formulierungen zu gießen: in Erinnerung an die Ermordung von 20 jüdischen Kindern durch die Nationalsozialisten vor 50 Jahren in einem Keller der Schule am Bullenhuser Damm.
Bürgerschaftspräsidentin Uta Pape sagte zu Beginn der gestrigen Parlamentssitzung, „das grausame Unrecht“ könne „nicht ungeschehen und auch nicht wieder gut“ gemacht werden. „Konsequenzen für unsere Gegenwart und für die Zukunft“ müßte das bedingungslose Eintreten „gegen Rassenwahn und Fremdenfeindlichkeit, gegen Krieg und Völkermord“ sein. Bürgermeister Henning Voscherau mahnte, die Opfer der Judenvernichtung dürften „nicht wiederum Opfer werden – des Vergessens, Verdrängens und Nicht-Wissen-Wollens“.
Mit Kranzniederlegungen gedachten ehemalige dänische Häftlinge des KZs Neuengamme gestern in der heutigen Gedenkstätte ihrer Freilassung kurz vor Kriegsende. 120 Gefangene hatten das Lager auf Initiative des Präsidenten des schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, verlassen können, dessen Geheim-Verhandlungen mit SS-Reichsführer Himmler rund 21.000 skandinavischen Gefangenen aus allen Vernichtungslagern die Freiheit brachte. Bernadottes Sohn nahm ebenso wie der dänische Generalkonsul an der Gedenkstunde in Neuengamme teil.
Seit gestern sind insgesamt 17 Straßen und Plätze in Burgwedel nach Mania Altmann, Jaqueline Morgenstern und 15 weiteren in der Nacht zum 21. April 1945 ermordeten „Kindern vom Bullenhuser Damm“ benannt. Auch der übrigen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren erhängten Kinder soll noch mit der Benennung von Straßen und öffentlichen Gebäuden gedacht werden.
Genugtuung über die Ehrung brachten der israelische Botschafter Avi Primor und mehr als 20 zu der Einweihung angereiste Angehörige der Ermordeten zum Ausdruck. Aber auch leise Kritik daran, daß sich das offizielle Hamburg so lange so schwer tat, sich an die grausamen Kindermorde zu erinnern. „Warum“, so fragte eine Cousine der im Alter von sieben Jahren ermordeten Riwka Herszberg, „erfolgt dieser Schritt erst nach 50 Jahren?“ Marco Carini
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