Keine grünen Maschinen mehr!

■ Der zweite Bildungsweg ist kein Spaziergang, doch wer's schafft, studiert meist schneller / Die „späten AbiturientInnen“ gelten als belastbarer / Größtes Problem: die Finanzierung

Dem einen wird das Abitur geradezu in die Wiege gelegt. Der andere kommt vielleicht aus einer Familie, in der Bildung nicht sehr hoch im Kurs steht. Wenn er Pech hat, findet er sich irgendwann in einem Beruf wieder, der weder seinem Talent noch seiner Neigung gerecht wird. In der Hoffnung auf einen spannenderen Beruf begeben sich manche auf einen Weg, der kein Spaziergang ist: den zweiten Bildungsweg.

Dem Bildungswilligen eröffnen sich zwei Möglichkeiten. Beide haben Nachteile. Besucht man eine Abendschule, kann man zwar gleichzeitig weiterarbeiten. Doch die Freunde ziehen ein langes Gesicht, weil keine Zeit mehr für soziale Kontakte bleibt.

Entscheidet man sich für eine Kollegschule, die vormittags besucht werden kann, gerät man leicht in Geldnot. „Trotzdem ist das Pensum zu schaffen“ ermuntert Sybille alle, die aus Sorge um die Finanzierung den Schritt zur Fortbildung noch nicht gewagt haben. Die gelernte Schneiderin hat vor drei Jahren die Fachhochschulreife an der FOS Huchting erworben. Gelebt hat sie in der Zeit von gelegentlichen Jobs und von Schüler-BaFöG, das damals noch ohne Rückzahlungsverpflichtung gewährt wurde. Mittlerweile wird es nur noch auf Darlehensbasis gewährt. Für Ältere ist der zweite Bildungsweg durch die Neuregelung des BaFöG noch schwerer geworden: Wer die Dreißig überschritten hat, kann nur dann auf eine staatliche Zuwendung hoffen, wenn er oder sie ein soziales Jahr oder mehrere Erziehungsjahre nachweisen kann.

Doch auch für Jüngere sind die Zeiten härter geworden. Regina Puscher vom Institut für Erwachsenenbildung (IFE) berichtet: „Früher haben die SchülerInnen in den letzten Monaten vor den Abiturprüfungen von ihren Ersparnissen gelebt und haben aufgehört zu arbeiten, um sich voll aufs Lernen zu konzentrieren. Mittlerweile arbeiten sie selbst in der Abschlußphase. Schließlich ist ja auch das BaFöG in den letzten Jahren nicht so weit angehoben worden, daß es mit den steigenden Lebenshaltungskosten mithalten kann.“

Diejenigen, die sich noch einmal auf die harte Schulbank setzen, haben denn auch ihre handfesten Gründe, wie Frank von der Oberstufe der VHS: „Ich konnte irgendwann keine grünen Maschinen mehr sehen“, sagt der ehemalige Klöckner-Schlosser. Auch Britta hatte es irgendwann satt, als Verwaltungsangestellte hauptsächlich Kaffee kochen zu müssen. Burkhard Heiny, der de Oberstufe der VHS betreut, weiß, daß ein großer Teil seiner SchülerInnen Büroangestellte sind oder einen Pflegeberuf haben. Claudia, gelernte Hebamme, will zum Beispiel noch ein Medizinstudium absolvieren, um endlich von den ärztlichen Kollegen für voll genommen zu werden.

Büro- und Pflegejobs sind typische Frauenberufe. Tatsächlich sitzen in den Klassen der Erwachsenenbildung überwiegend Frauen. Im Schuljahr 1994/95 erhielten im Land Bremen nach Auskunft des Statistischen Landesamtes 52 Männer und 79 Frauen ihr Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife. Die Fachhochschulreife erlangten 10 Männer und acht Frauen. Nach Angaben der Schulleiter ist ein solches Verhältnis auch für andere Jahrgänge charakteristisch. In den Kursen der VHS beträgt der Frauenanteil stets um die 65%.

Ein hoher Anteil hält die zwei Jahre bis zum Abitur durch. Heiny: „Wir haben eine Abbrecherquote von 10-15%. Durch eine Umfrage, die wir kürzlich unter 180 Absolventen durchgeführt haben, wissen wir außerdem, daß 85% unserer Absolventen ein Studium aufnehmen. Besonders auffallend ist, daß es unter ihnen nur wenige gibt, die den Studiengang wechseln. Vielleicht liegt das daran, daß sie die Ausbildung ernster nehmen als Leute, die ihre Schullaufbahn in einem Rutsch gemacht haben und denen von daher eine berufliche Orientierung fehlt.“ Am IFE variiert die Fluktuationsquote zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der 'Schulanfänger'. Bei der Abendschule halten 60 bis 70 % bis zum Abitur durch. Auch hier beginnen die meisten nach bestandener Prüfung ein Hochschulstudium.

Nach Angaben von Regina Puscher aber sind viele SchülerInnen des IFE später enttäuscht vom Unibetrieb. Im IFE hatten sie eine sehr persönliche Schulform erlebt. Plötzlich werden sie mit dem anonymen, bürokratisch reglementierten Hochschulleben konfrontiert. Trotzdem ziehen die 'späten Abiturienten' ihr Hochschulstudium in der Regel schneller und gewissenhafter durch als ihre KommilitonInnen. Denen haben sie etwas voraus: ihre Berufserfahrung und ihre vergleichsweise größere Belastbarkeit.

Susanne Alfuss