Wozu Bildungsurlaub?

In der Bildungsdiskussion geht es um Qualifizierung. Bildung ist ein Produktionsfaktor. Ein Plädoyer für den Bildungsurlaub aus gewerkschaftlicher Sicht  ■ Von Rainer Heinrich

Lebenslanges Lernen ist angesichts der schnellen, technischen, arbeitsorganisatorischen und gesellschaftlichen Entwicklung in unserer Zeit ein immer notwendiger werdendes Erfordernis. Angesichts der Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erhalten neben technischen, ökologischen, sozialen und kaufmännischen Kompetenzen besonders sprachliche Kompetenzen für die Bevölkerung erhöhte Bedeutung.

In der Bildungsdiskussion geht es zunächst um Qualifizierung, die es den Menschen ermöglichen soll, ihre Arbeitskraft ein Arbeitsleben lang verkaufen zu können. Bildung wird unter diesen Bedingungen immer mehr zum wichtigsten Produktionsfaktor im Wirtschaftsleben.

Qualifizierung in der beruflichen Bildung ist aber nicht alles. Allgemeine, politische und kulturelle Bildung sind weitere Bestandteile umfassender Bildung, deren Umsetzung in der Praxis die Gesellschaft am Leben erhält. Eine gute Allgemeinbildung ist die Grundlage für berufliches Fortkommen. Ohne politische Bildung sind das kompliziert aufgebaute demokratische Gemeinwesen und gesellschaftliche Zusammenhänge nicht zu verstehen, werden mündige Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage sein, ihre Interessen in der Demokratie wahrzunehmen und durchzusetzen.

Die sogenannten Schlüsselqualifikationen wie u.a. soziale Kompetenz, Verantwortungsbewußtsein, Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit und Gruppenfähigkeit werden sowohl in der beruflichen Bildung wie in der politischen Bildung vermittelt.

Über den Stellenwert der Bildung besteht bei allen Beteiligten, ob im Gewerkschafts- oder Arbeitgeberlager, gar kein Zweifel. Angesichts knapper Mittel entbrennt jedoch die Auseinandersetzung darum, wer in den Genuß welcher Bildung kommt und wer dafür bezahlt. Die Unternehmer möchten am liebsten unter Kostengesichtspunkten sowenig wie möglich dafür bezahlen, aber soviel wie möglich vom einzelnen Bürger oder vom Staat erhalten. Elitenbildung ist wieder gefragt, während die Gewerkschaften das Recht auf Bildung für alle fordern. Kurzsichtige Orientierung der Unternehmer – auch unter Arbeitnehmern – rückt zur Zeit berufliche Bildung in den Mittelpunkt der Interessen, während politische Bildung in den Freizeitbereich verbannt werden soll. Politische Bildung ist aber eine wesentliche Voraussetzung für demokratische Entwicklung und Stabilitätsfaktor.

Kreative, durchsetzungsfähige Beschäftigte, nicht nur in den oberen Etagen, sind die Grundlage für die Entwicklung von intelligenten Produktionen und von Innovationen. Diese Zusammenhänge werden in der Regel von den Unternehmen aus kurzfristigen Kosten- und Profitgesichtspunkten nicht gesehen. Freistellungen für politische Bildung treffen auf immer größeren Widerstand.

Die Intensität der Arbeit hat einen Grad erreicht, der es den Beschäftigten nicht erlaubt, sich komplexe Zusammenhänge nach Feierabend zu erarbeiten. Ein immer größerer Teil der Beschäftigten sind Alleinstehende mit Kindern, die aufgrund ihrer Doppelbelastung dazu nicht in der Lage sind. Der Bildungsurlaub ist daher ein wichtiger Bestandteil, um das Recht auf Bildung für alle durchzusetzen.

Der Jahresurlaub dient der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft. Er sollte nicht für Bildungszwecke verwendet werden.

Die geschilderten Zusammenhänge bildeten den Anlaß, daß Gewerkschaften und Volkshochschulen schon frühzeitig die Forderung nach Bildungsurlaub erhoben. In der ILO-Konvention 140, die 1976 vom Bundestag verabschiedet wurde, verpflichtete sich die Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß den Arbeitnehmern eine bezahlte Bildungsfreistellung eingeräumt wird. Da die Bildung aber Ländersache ist, wurden die Bildungsurlaub-Gesetze auf Landesebene insbesondere auf Druck der Gewerkschaften und Volkshochschulen durchgesetzt.

Neben den Bildungsurlaub-Gesetzen in den einzelnen Bundesländern fordert der DGB ein Weiterbildung-Rahmengesetz auf Bundesebene, um die Weiterbildung als einen gleichberechtigen Teil des Bildungswesens zu entwickeln. Dabei soll die Weiterbildung qualitativ hochwertig sein, d.h. ihre Qualität auch zertifiziert und kontrolliert werden, Inhalt und Abschlüsse sollen allgemein anerkannt und miteinander vergleichbar sein und aufeinander aufbauen. Für die Weiterbildung ist öffentliche Verantwortung zu übernehmen.

Der Autor ist Abteilungsleiter für Bildung beim DGB-Landesbezirk Berlin/Brandenburg