: Ausgerechnet bretonisch
■ FreundInnen aus Schottland, Irland und Wales feiern das Erbe der Kelten in der Südbretagne beim "Interceltique", dem größten Folklorefestival Europas
„In einer Zeit, in der die französische Sprache bedroht ist, ist es besonders schockierend, daß Frankreich beim Grand Prix d'Eurovision ausgerechnet durch ein bretonisches Lied vertreten ist“, empörte sich die gaullistische Abgeordnete Monique Rousseau in diesem Frühjahr. Ihr Zorn galt dem bretonischen Gitarristen Dan ar Braz und seinem Song „Diwanit Bugale“. Die BretonInnen aber waren mächtig stolz. Soviel Anerkennung durch den ungeliebten Zentralstaat war man nicht gewohnt. Daß Dan ar Braz beim europäischen „Schlagerwettbewerb“ lediglich den neunzehnten und damit vorletzten Platz belegte, wird vornehm verschwiegen.
Beim „Festival Interceltique“ in Lorient (Südbretagne) war Dan ar Braz dagegen ganz vorn in der Gunst der Zuschauer. Über 9.000 BesucherInnen drängte es zu seinem Konzert in der bretonischen Hafenstadt, die jedes Jahr im August zur Folk-Metropole Europas wird.
„L'Heritage des Celtes“ (das Erbe der Kelten) hieß Dan ar Braz' Programm, das er gemeinsam mit fünfzig MusikerInnen aus der Bretagne, Irland, Schottland und Wales auf die Bühne brachte. Mit dabei waren unter vielen anderen auch der bretonische Chansonnier Gilles Servat und Karen Matheson, die Sängerin der schottischen Folkband Capercaillie.
Thematisch trifft „L'Heritage des Celtes“ in das Herz des Festivals Interceltique, das vor 26 Jahren aus einem nur regional bedeutsamen Dudelsackfest entstanden war. Der Bezug auf die Kelten dient in Lorient weniger der Verherrlichung der keltischen Kultur, über die man mangels schriftlicher Zeugnisse ohnehin nur wenig weiß.
Die Idee des „Interceltisme“ war vielmehr ein Trick, die bretonische Sache in einen größeren Zusammenhang zu stellen. „Wir mußten uns mit Völkern verbinden, die in der Vorstellungswelt der Franzosen existierten“, erinnert sich Jean-Pierre Pichard, der Motor des Festivals.
Zum Glück für die BretonInnen stieß die „interkeltische“ Idee auch jenseits des Kanals auf FreundInnen. Schottland, Irland, Wales, Cornwall, Isle of Man, die Liste der beteiligten „keltischen Neffen und Nichten“ wurde immer länger. In Lorient vertragen sich sogar die IrInnen aus dem Norden und dem Süden der Insel.
Kein Wunder, daß das Festival immer größer und größer wurde. Heute ist es nach eigener Einschätzung mit über 300.000 BesucherInnen innerhalb von zehn Tagen „das größte und wichtigste Folkfestival Europas“.
Dan ar Braz, inzwischen 47jährig, hat diese Entwicklung miterlebt. Anfang der 70er Jahre spielte er die Gitarre in der Band von Alan Stivell, dem Pionier der keltischen Harfe und des Celtic Rocks. Später schloß er sich der legendären englischen Folkrock-Band Fairport Convention an, bis er sich Mitte der 80er Jahre schließlich auf Soloproduktionen verlegte. „L'Heritage des Celtes“ feierte selbst in Paris Konzerterfolge.
Doch so wichtig das Kelten- Spektakel für die bretonische Selbstwahrnehmung ist, musikalisch ist es vor allem eines: ganz nett. Vielleicht ist das sogar der Grund, warum sich die CD bereits über 300.000mal verkaufte. Künstlerischer Höhepunkt war in Lorient eher das gemeinsame Konzert des bretonischen Sängers Yann-Fanch Kemener (Ex-„Barzaz“) mit dem Jazz-Pianisten Didier Squiban. Ausgeleuchtet nach der Art eines Kammerspiels sang Kemener vor allem bretonische Klagelieder („Gwerze“), unterlegt mit melodiösen Klavierarrangements, die das Konzert auch für Gwerz-Ungewohnte zu einem Hörgenuß machten.
Als Herausforderung an heutige Techno-Raves war das „Fest Noz Vraz“ (großes Tanzfest) gedacht. Mit 3.000 TänzerInnen blieb man zwar etwas hinter der neumodischen Konkurrenz zurück. Dafür war aber genug Platz für die ebenfalls durchaus tranceartigen bretonischen Kettentänze. Mit „Ar re Youank“, der derzeit rockigsten bretonischen Tanz- Combo (typischer Kommentar in der Lokalzeitung: „Man mag zu ihr stehen, wie man will...“), hatte man gerade die Richtigen für den Schlußact engagiert. Solange allerdings ein „Fest Noz Vraz“ bereits um 3 Uhr morgens endet, wird man den Techno-Raves wohl kaum ernsthaft Konkurrenz machen können.
Nachdem im letzten Jahr das 25. Jubiläum des Festivals gefeiert worden war, stand Lorient diesmal vor allem im Zeichen Irlands. Vor drei Jahren hatte François Mitterrand mit der irischen Präsidentin Mary Robinson vereinbart, daß sich beide Länder besser kennenlernen sollten.
In Lorient ging nun ein Jahr der irischen Kulturveranstaltungen in Frankreich zu Ende. Stars des großen Irland-Abschlußkonzertes waren The Corrs, inzwischen auch in Deutschland bekannt durch ihren Hitparadentitel „This is the Right Time“.
Folk-Pop im Cocktailkleid: Die vier Geschwister (drei Schwestern und ein Bruder) griffen immer wieder zu Fiedel und Tin-Whistle. Anders als bei den irischen Rockkonzerten (Rory Gallagher, Simple Minds) der letzten Festival-Jahre wurden bei den Corrs traditionelle Wurzeln immerhin mehr als sichtbar.
Seit das Festival Interceltique Jahr für Jahr neue Besucherrekorde erzielt und sich mit „keltischer“ Musik à la Dan ar Braz sogar beeindruckende Plattenumsätze erzielen lassen, werden plötzlich auch die Major-Companies auf die Bretagne aufmerksam.
Im bestsortierten Plattengeschäft Lorients bekam man in diesem Jahr beim Kauf zweier „keltischer CDs“ ein Sony-T-Shirt geschenkt. Warum gerade Sony? „Die haben doch inzwischen“, erklärt der freundliche Plattenverkäufer, „auch Dan ar Braz unter Vertrag.“ Christian Rath und Anke Uhl
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