„Leider nicht gewonnen“

■ Neu bei Steinbrecher: Waldemar Grazewicz mit wohl wichtigen Multiples und Wandobjekten

Was ist das Gegenteil von viel Lärm um nichts? „Grazewicz!“, möchte man ausstoßen, wenn man die neue Ausstellung in der Galerie Steinbrecher gesehen hat. Leise und zurückhaltend befaßt sich der Pole Waldemar Grazewicz mit Dingen, um die sich schon aufgeregtere Leute kümmerten, die ausschließlich schwarze Hemden, schwarze Jacken und schwarze Hosen tragen: Glück, Existenz, Nichts, Wir als Nummern, der Sinn ein Geheimnis.

Nun fiel ja Generationen von Künstlern angesichts der Wucht solcher Themen vor allem expressiv und pastos aufgetragenes Öl, Acryl oder Teer ein. Grazewicz hingegen fällt erst mal solides Handwerk ein. Bevorzugt baut er kleine, tischlermäßig gearbeitete Holzkistchen, in denen er irgendetwas inszeniert: entstellte Fotos von Menschenmengen, Vorkriegsmaterial, mit geheimnisvollen Leinensäckchen versehen; Hunderte von gefalteten Papierschwalben; unausgewickelte Lose; ausgewickelte Lose, auf denen man lesen muß: „Leider nicht gewonnen“. Und immer wieder Zahlen, die uns nichts sagen, dem Kundigen aber womöglich Entscheidendes mitteilen. Mühsam entziffert man doppelt verfremdete Datenlisten (weiß auf schwarz und spiegelverkehrt), die über einen „Polanski, Jerzy“ wissen: K_066_890731 28,870 RK/K/0801. Hunderte weiterer Namen.

Die Kunst des Waldemar Grazewicz ist bescheiden, auch naiv. Er legt lauter Geheimnisse frei, ohne sie zu lüften. Mit ihm ist man geneigt zu glauben, daß hinter seinen schwarzen Scheiben, in seinen verschlossenen Versandtüten große und schreckliche Wahrheiten stecken, die man lieber nicht ausspricht, schon weil das banal klänge. Galerist Steinbrecher teilte zur Eröffnung mit, daß sein Künstler nebenher Postfächer, Klappen aller Art und Grabplatten fotografiert.

Ob man sich auf Grazewiczs Zahlenmagie einläßt, bleibt einem selbst überlassen. Der Pole (Jahrgang 1952, seit 1988 BRD) treibt es weit. So hat er von seinen Kästen mit Säckchen 120 gebaut. Am Dobben sind 77 zu sehen, einige sind verkauft. Bis zum Jahr 2000 sollen alle weg sein. Zurück bleiben Kärtchen, auf die jeder Käufer eine ihm wichtige Zahl geschrieben hat. In der Ausstellung zur Jahrtausendwende addieren sich dann die Wichtigkeiten.

Und warum sind polnische bildende Künstler international ohne Bedeutung?. Eine mögliche Antwort : zu wenig hip, zu wenig hopp, zu seriös, zu hermetisch für den verwöhnten Konsumenten. Vielleicht tatsächlich, wie der Galerist meinte, zu „heilig“. Übrigens ist der Grazewicz gar nicht so: Er ist nebenbei ein erfolgreicher, auf Biennalen und Triennalen vertretener Plakatkünstler . Und er trägt nicht Schwarz, sondern bunt, Poposcheitel, Pferdeschwänzchen. Im Gesicht hat er so gar nichts Verzweifeltes, vielmehr etwas unergründlich Freundliches. Außerdem erzählt er einen Witz: In seinen Leinensäckchen sei Geld. Das ist natürlich ein doppelter Witz. Wenn es Zloty sind. BuS

Am Dobben 123, bis 21. Sept.