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Buhrufe hallen durchs Aquatic Center

„Ich bin bodenlos enttäuscht“, sagt die disqualifizierte Paralympics-Siegerin Yvonne Hopf: Mit seltsamen Entscheidungen verärgern die Kampfrichter SchwimmerInnen und Publikum  ■ Aus Atlanta Iris Hilberth

Medaillenwünsche werden im Georgia Tech Aquatic Center zur Zeit jeden Tag erfüllt. 178 paralympische Entscheidungen gibt es bei den SchwimmerInnen. 13 verschiedene Klassen, vier Stilarten und Strecken von 50 bis 400 Meter sorgen für eine Schwemme an Edelmetall. Doch nicht immer darf auch derjenige die Goldene, Silberne oder Bronzene mit nach Hause nehmen, die er aus dem Pool gefischt hat. Auch die deutsche Schwimmerin Maria Götze fand sich unverhofft auf dem obersten Siegerpodest wieder. Als Zweite hatte die Schülerin aus Chemnitz nach 50 Meter Delphin (49,11 sek) angeschlagen und sich „tierisch gefreut“ über die Silbermedaille. Doch dann war der Name der Siegerin aus Frankreich plötzlich von der Anzeigentafel verschwunden. „Wir dachten alle, das sei ein Computerfehler“, erzählt Maria Götze (15).

War es nicht: Die Siegerin war disqualifiziert worden. Für die WassersportlerInnen gehört dies zum paralympischen Alltag. Bei anderen Schwimmveranstaltungen bekommen üblicherweise zwei oder drei Athleten pro Tag die rote Karte. Doch in Atlanta sehen die Kampfrichter täglich etwa 20 Verletzungen der Regeln des internationalen Schwimmverbandes FINA, nach denen auch hier durchs Wasser gepflügt wird.

Fast in jedem zweiten Lauf gibt es Disqualifikationen, so daß erfüllte Medaillenwünsche oft nachträglich wieder zu unerfüllten werden. Des einen Pech ist des anderen Glück, und diesmal konnte eben Götze einen Platz weiter nach oben klettern. Klar freute sie sich über das Gold. „Das ist schon noch einmal ein ganz anderes Gefühl, ganz vorne zu sein“, sagte sie. Vor einem halben Jahr hatte die kleinwüchsige Schwimmerin noch gar nicht daran geglaubt, überhaupt zu den Paralympics zu fahren. „Meine Freunde haben mir zwar immer Mut gemacht und gesagt, du schaffst das, aber ich habe erst nach der Qualifikation an Atlanta gedacht“, sagte sie.

Als Ziel hatte sie sich weder Silber noch Gold, noch sonst eine Plazierung gesetzt; nur die Teilnahme an den Spielen hatte sie sich vorgenommen. „Und es ist einfach toll hier mit der Mannschaft und dem Publikum, wenn es einem zujubelt.“ Götze kann richtig ins Schwärmen geraten. Nein, von Barcelona hatte sie vor vier Jahren nichts mitbekommen, deshalb sei sie auch überrascht von der Stimmung bei den Wettkämpfen.

Allerdings jubelt das Publikum nicht immer. Mit den ständigen Disqualifikationen ist es ganz und gar nicht einverstanden. Selbst wenn man den Amerikanern auch eine große Portion Patriotismus vorwerfen wollte: hier bei den ZuschauerInnen hat er seine Grenzen. Zwar bejubeln sie die regulär erzielten Siege der Ihren besonders enthusiastisch; doch sind sie durch eine nicht ersichtliche Disqualifikation entstanden, hallen auch Buhrufe für die Kampfrichter durchs Aquatic Center. Mächtig gebuht wurde bei Yvonne Hopf (18). Die sehbehinderte Deutsche war in Weltrekordzeit über 100 Meter Delphin der Konkurrenz um Längen vorausgeschwommen. Doch ihre Freude über Gold auf ihrer Lieblingsstrecke kam zu früh. Aufgrund eines Wendefehlers wurde sie disqualifiziert. Angeblich waren ihre Hände nicht gleichzeitig an die Beckenwand gekommen. Die Enttäuschung war groß, die intensive Vorbereitung der vergangenen Monate für die Katz.

Der deutsche Verband legte Protest ein. Dem wurde zwar stattgegeben, aber dafür wurde gleich eine andere Begründung, ein Stilfehler, nachgereicht. Nun hatte Hopf angeblich mit den Beinen die vorgeschriebene Delphin-Bewegung nicht richtig ausgeführt. So freute sich eine US-Amerikanerin über Gold. „Ich bin bodenlos enttäuscht“, sagte die Deutsche, „wenn ich einen Fehler gemacht hätte, wäre es ja in Ordnung, aber ich bin sauber geschwommen.“

Nächster Tag, ähnliches Spiel. Über 200 Meter Lagen wird Daniela Henke Zweite, Yvonne Hopf Dritte, eine US-Schwimmerin Vierte. Henke wird disqualifiziert, Hopf erhält dadurch Silber, freut sich aber ganz und gar nicht: „Das ist nicht meine Medaille“, sagt sie und wundert sich, daß erneut eine US-Amerikanerin von der Schiedsrichterentscheidung profitiert. „Die Regeln werden hier ganz besonders extrem ausgelegt“, äußert sich der Chef de Mission der deutschen Mannschaft, Karl Quade, „aber es ist kein deutsches Problem, alle Nationen sind davon betroffen.“ Er habe im Meeting der Chefs die Situation wertfrei dargestellt, nun solle es ein Gespräch mit dem Kampfgericht geben.

Die nächsten Tage im Georgia Tech Aquatic Center werden zeigen, wessen Medaillenwünsche erfüllt werden. Die der Sieger oder vielleicht auch, wie manche sagen, die der Gastgeber.

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