■ Vorschlag: So ironisch wie huldvoll gemeint: Die Oblivians im Roten Salon
Mit Jon Spencer fing es bei Crypt an. Dessen erstes Blues-Explosion-Album, das den Blues, wie man ihn gemeinhin kennt, bis auf sein Grundgerüst auseinandernahm, um ihn kaputt und müllig wieder zusammenzusetzen, wirkte wie ein Stachel im schalen Indiefleisch. Daraufhin wartete man gespannt auf die Veröffentlichungen, die Tim Warren, Crypt-Labelchef und erklärter Feind von weinerlichem Indierock, plante.
In Zielgerichtetheit und knorriger Kreativität erinnert Warren an AmReps Tom Hazelmayer: Doch wo dessen Bands mit keinen anderen Pfründen als Verrücktheit und Persönlichkeitsstörung wuchern, beerben die Crypt-Bands einen Teil des musikalischen Fundus der Südstaaten: Swamprock, Delta-Blues, Rockabilly und alle Obskuritäten, die in dortigen Garagen vierzig Jahre lang ausgebrütet wurden. Dafür schaut sich Warren in New York, Edinburgh oder Hamburg genauso um wie in Memphis, Tennessee.
Dort kommen die Oblivians her, die die Lieblings-Sounds Warrens am originärsten mit der Muttermilch aufgeschleckt haben dürften. Natürlich ist das Punk, was die Oblivians machen. Doch im Zeitalter von Neo-Punk geziemt es sich für diese aufrechten Recken nicht, damit allzusehr hausieren zu gehen. Die Definitionsmacht über Punk liegt bei ihnen im traditionellen Rock 'n' Roll. Nennen tun sie sich ganz Ramones-like Eric Oblivian, Greg Oblivian und Jack Oblivian, auf einheitliches Aussehen wird gesteigerten Wert gelegt, und vocals, drums und guitars beherrschen (?) alle drei. Wo das noch gleichermaßen ironisch wie huldvoll gemeint ist, sollte den Kids beim Slogan, den ihr zweites Album „Popular Favorites“ ziert, endgültig der stumpfe, geschichtslose Pogo in den Beinen steckenbleiben: „Kill a punk for rock 'n' roll“. Wie aus dem Übungskeller klingen die Songs, schrottig und nicht nur eins, zwei, drei nach vorn gespielt. Kleine Bastarde aus dem Werk der Ramones, Cramps und Milkshakes sind das, und selbst einen Ausrutscher wie Trios „Ja, Ja, Ja“ verzeiht man den Oblivians ohne Zögern, klingt doch der Song bei ihnen wie ein Garagen-Blues-Original von 1959. Gerrit Bartels
Heute, 22 Uhr, Roter Salon, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz
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