Keine Angst vor Jelzin

■ Telefoniert Kohl den Frieden in Tschetschenien herbei?

Die Bundesregierung tut, was sie kann: Sie ist besorgt. Das Außenministerium gar ist über die „Situation in Tschetschenien“ äußerst besorgt. Und die tief Besorgten in Bonn sind tief besorgt. „Nach der Sommerpause muß etwas passieren“, sagt ein hochrangiger deutscher Diplomat. Der Bundeskanzler hat gedroht, gleich nach seinem Urlaub mit Boris Jelzin zu telefonieren: „Wie war dein Waldurlaub, Boris?“ wird er ihn fragen und dann sofort die Daumenschrauben anziehen. „Was ist denn bei euch da unten los? Geht das noch lange so?“ Bringt Kohls Urlaubsende die Wende in Tschetschenien?

Der Krieg interessiert den Bundeskanzler und seine Regierung einen Scheißdreck. Boris Jelzin war Kinkel und Kohl immer wichtiger als irgendwelche Tschetschenen. Aber warum er ihnen wichtiger war und ist, wissen sie schon lange nicht mehr. Sie schonen ihn, wo es nur geht. Monatelang hat sich die deutsche Rußlandpolitik auf die Frage Jelzin oder Sjuganow reduziert. Aber die wichtigere Frage hat ein Mann gestellt, den man in Bonn abseits des Tagesgeschäfts ganz gerne empfängt: Sergej Kowaljow. „Alle haben Angst vor Sjuganow“, so der bekannteste russische Menschenrechtler, „warum hat eigentlich niemand Angst vor Jelzin?“

Boris Jelzin ist der Hauptverantwortliche für den russischen Krieg in Tschetschenien, erst recht, nachdem er die Kriegspartei um Korschakow aus dem Kreml entlassen hat, und das müßte Helmut Kohl ihm ins Gesicht sagen. Statt dessen schweigt er und bestärkt Jelzin dadurch. Kohl hat – wie der Westen insgesamt – weggesehen, immer wieder in der Hoffnung, daß es schon nicht so schlimm wird, wie es gerade zu werden scheint. In seiner Ratlosigkeit bewertet er das Töten Zehntausender Menschen und das Auslöschen ganzer Städte bis heute als innerrussische Angelegenheit. Mehr noch, Bonn hat mit seinen ungebundenen Milliardenkrediten indirekt die russische Kriegskasse aufgefüllt. Nach Schätzungen des Kreml hat der Krieg bereits 20 Milliarden Dollar gekostet. Für humanitäre Projekte in Tschetschenien hat Bonn bislang keinerlei offizielle deutsche Hilfe zugesagt – nicht eine einzige Mark.

Aber am Montag ist es soweit. Kohl greift zum Telefon. Mal sehen, wer in Moskau abhebt. Jens König