Bewerben, hoffen und resignieren

Was tun, wenn man keine Lehrstelle bekommt? Aus Anlaß der heutigen Lehrstellenkonferenz des Senats eine Stimmungsaufnahme von Schülern, Abgängern und Auszubildenden  ■ Von Torsten Teichmann

Eine Lehrstelle, das ist der Traum vom ersten selbstverdienten Geld. „Einen Teil für die Fahrerlaubnis sparen. Vielleicht reisen. Das kaufen, was mir gefällt – später ein eigenes Motorrad. Und mit 18 von zu Hause ausziehen“, schwärmt die 15jährige Jane ihren Freunden im Jugendclub „Skandal“ in Friedrichshain vor.

Selbständig sein! Davon träumen auch 8.000 Jugendliche, für die eigentlich am fünften Oktober das neue Ausbildungsjahr beginnen soll. Doch sie haben noch keine Lehrstelle gefunden. Heute Mittag wird der katastrophale Mangel an Ausbildungsplätzen erneut Thema einer Ausbildungskonferenz von Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) sein.

Im vergangenen Jahr war es nur mit Hilfe von Förderprogrammen, wie berufsvorbereitenden Kursen des Arbeitsamtes gelungen, statistisch alle Jugendlichen zu versorgen. Trotz gleicher Maßnahmen rechnet die Senatsverwaltung für Berufsbildung aufgrund der gestiegenden Schulabgängerzahlen und der sinkenden Zahl von Lehrstellen in diesem Jahr mit einer bleibenden Lücke von 2.000 Ausbildungsplätzen.

Und das trifft nicht nur die Kids mit Null-Bock-Mentalität. „In unseren Klub kommen Jugendliche, die haben einen Realschulabschluß oder gar Abitur und finden einfach keinen Ausbildungsplatz“, erzählt Sigrid Willim vom Hellersdorfer Jugendklub „Lubminer“ bestürzt. Aber an Programmen des Arbeitsamtes seien die Jugendlichen nicht interessiert, sagt die Klubleiterin. „Die sind total neugierig aufs Jobben, auf vielseitiges Ausprobieren.“ – „Amerikagefühl“ nennt Willim die Idee der Schulabgänger, es ohne Ausbildung und festen Job doch zu schaffen. Außerdem wollten immer mehr zur Bundeswehr. Sie alle verschwinden aus der offiziellen Statistik der Unvermittelten.

Zudem ist den meisten jungen Leuten ihre erfolglose Stellensuche peinlich: Sie wollen nicht öffentlich über endloses Bewerben, Hoffen und Resignieren sprechen. Andreas hat diese Ungewißheit hinter sich. Mit einem durchschnittlichen Realschulabschluß wollte der stämmige Junge Kfz- Mechaniker werden. „Ein Jahr lang habe ich erfolglos 82 Bewerbungen geschrieben.“ Dann hat der 18jährige durch Zufall eine Lehrstelle als Tankwart erhalten: „Ich bin für einen Freund, der krank war, zum Vorstellungsgespräch gegangen und wurde gleich genommen“, erzählt er freudig.

Das Jahr nach der Schule hat Andreas mit Jobben über die Runden gebracht – er hat auf Marktplätzen Schuhe verkauft. Oder war im „Skandal“ und zu Hause, aber da gab es oft Knatsch mit seinem Vater, der arbeitslos ist. „Ohne meine Freundin hätte ich das alles nicht ausgehalten“, sagt Andreas und zieht die Brauen leicht nach oben.

Eine Alternative zur endlosen Suche ist eine außerbetriebliche Ausbildung. Monique begann vor zwei Jahren eine Tischlerlehre in den Werkstätten der Handwerkskammer. Auch sie fand keine Ausbildung in einem Betrieb. In der kammereigenen Werkhalle in Dahlem liegen die bereits fertigen, geschliffenen Einzelteile für ihr Gesellenstück – ein Wäscheschrank aus Ahornholz. Die Baupläne lassen die Größe der Arbeit erahnen. Monique hat Abitur, das verkürzt ihre Lehre um ein Jahr, doch für eine Anstellung als Gesellin reicht das anscheinend trotzdem nicht. Ausgebildet für die Arbeitslosigkeit?

Und dann gibt es noch Leute wie Mirko im „Skandal“, die nicht wissen, ob arbeiten wirklich besser als jobben und rumhängen ist. Langsam fühlt sich der 20jährige aber ohne richtigen Schulabschluß an den Rand der Gesellschaft gedrängt – einer Gesellschaft, in der Leistung zählt. Nach acht Schuljahren hat er 1990 – im Ostteil noch möglich – die Schule geschmissen. „Ich wollte endlich als Maurer Geld verdienen.“ Doch heute, nach zwei abgebrochenen Lehren, gibt ihm das Arbeitsamt nicht mal mehr die Chance seinen Hauptschulabschluß nachzuholen.

Der Hobby-DJ mit kurzen, gefärbten Haaren, grün-brauner Tarnhose und Skater-Schuhen träumt von einer Ausbildung zum Tontechniker, wohl wissend, daß es ein Traum bleibt – weit weg von jeder Realität. Näher liegt da noch die Möglichkeit, den Schulabschluß nachzuholen.

Aber ein Abschluß allein zählt nicht mehr. Es muß mindestens einer von der Realschule sein: „Mit dem habe ich größere Chancen bei der Bewerbung“, erklärt Diana den Umstand, das sie die neunte Klasse freiwillig wiederholt. „Sonst würde meine Punktezahl im nächsten Jahr nur für einen erweiterten Hauptschulabschluß langen“, so die Fünfzehnjährige. Und der reicht für ihre Wunschausbildung zur Erzieherin nicht.

Der 18jährige Mirko bereitet sich sogar auf das Abitur vor: „Ich habe gelesen, daß nur 16 Prozent der Bewerber für eine Banklehre einen Realschulabschluß haben“, begründet er etwas scheu seinen Entschluß nach der zehnten Klasse nicht abzugehen. Spaß mache die Schule nicht richtig, Probleme hat Mirko in Englisch und Mathematik, aber er will den höchst möglichen Schulabschluß: „Damit steche ich später die anderen bei der Bewerbung aus.“