Wie Hessens Landeschef weiterregieren kann: Für immer Koch
Abgewählt, gedemütigt, erledigt? Von wegen! Dank der SPD-Krise kann Koch weiterregieren - auf unabsehbare Zeit. Selbst Neuwahlen müsste die CDU weniger fürchten als die SPD.
Wochenlang war der hessische Ministerpräsident abgetaucht und hatte die Bühne der SPD überlassen. Jetzt meldet sich Roland Koch (CDU) zurück. "Wir hatten damit begonnen, eine ordentliche loyale Amtsübergabe vorzubereiten", behauptet er. Aber daraus wird vorerst nichts. "Jetzt muss man Geduld haben", erklärte er Mittwoch in einem Zeitungsinterview. "Wir stehen am Anfang eines langen Weges." Im Klartext: Koch richtet sich darauf ein, zu bleiben. Auf vorerst unabsehbare Zeit. Und das sind seine Möglichkeiten:
1. Der Ministercoup. Will Koch geschäftsführend im Amt bleiben, hat er ein Problem: Die Kultusministerin Karin Wolff ist bereits am 13. Februar zurückgetreten, der Wissenschaftsminister Udo Corts will zum 1. April bei der Deutschen Vermögensberatung AG in Frankfurt den Bereich Unternehmenskoordination übernehmen, wo bereits der frühere Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) arbeitet. Beide Ressorts sind für die Landespolitik sehr wichtig. Da die Wahlperiode offiziell erst am 4. April endet, hätte Koch noch drei Wochen Zeit, um den alten Landtag einzuberufen und mit absoluter CDU-Mehrheit Nachfolger für Wolff und Corts wählen zu lassen. Juristisch wäre das einwandfrei - auch nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 trat der abgewählte Bundestag noch einmal zusammen, um über den Nato-Einsatz im Kosovo abzustimmen.
2. Der Geschäftsführertrick. In der ersten Landtagssitzung am 5. April muss der Ministerpräsident gemäß Artikel 113 der Hessischen Verfassung zurücktreten. Zugleich führt er "die laufenden Geschäfte bis zu deren Übernahme durch die neue Landesregierung weiter". Was aber sind "laufende" Geschäfte? Alle, meint die große Mehrheit der Verfassungsrechtler. "Meine Regierung ist auch geschäftsführend in Hessen voll verantwortlich und voll handlungsfähig", sagte Koch gestern. Rechtlich kann man ihm nicht widersprechen.
3. Das Zufallsprinzip. Um Gesetze zu verabschieden, braucht Koch eine Mehrheit im Landtag - allerdings nicht der gesetzlichen Mitglieder, sondern lediglich der anwesenden Abgeordneten. Sind bei der SPD zwei Abgeordnete krank oder muss ein Politiker der Linken mal auf die Toilette, könnte Schwarz-Gelb schnell abstimmen lassen und Zufallsmehrheiten zustande bringen. Um den Abgeordneten diesen Dauerstress zu ersparen, gibt es in Parlamenten normalerweise eine Übereinkunft, solche Situationen nicht auszunutzen. Unter den besonderen hessischen Bedingungen dürfte darauf aber kein Verlass sein.
4. Die Vertrauensfrage. Das wäre für Koch eigentlich ein schönes Mittel, um die SPD vorzuführen. Eine verlorene Vertrauensabstimmung führt automatisch zu Neuwahlen, wenn nicht binnen zwölf Tagen eine neue Regierung zustande kommt. Davor würden die Sozialdemokraten vermutlich zurückschrecken - und deshalb nicht gegen Koch stimmen, was wiederum ein neues Image-Debakel für Andrea Ypsilanti wäre. Das Problem: Koch kann die Vertrauensfrage gar nicht mehr stellen, weil er am 5. April ohnehin zurückgetreten sein wird.
5. Die Parlamentsauflösung. Bleibt also nur der offizielle Weg. Glaubt Roland Koch, dass sich die SPD hinreichend blamiert hat und sein krimineller Wahlkampf lange genug vergangen ist, könnte er auf diesen Ausweg spekulieren. Auch dafür braucht er allerdings Stimmen jenseits des schwarz-gelben Lagers. Anders als bei Gesetzen kann er auf ein Zufallsergebnis nicht hoffen, weil die Verfassung eine Mehrheit der gewählten Abgeordneten vorsieht. Andererseits ist längst nicht gesagt, dass Grüne und Linke gegen eine Auflösung stimmen würden. Die Zustimmung von einer der beiden Fraktionen würde genügen.
6. Das Neuwahlpatt. Selbst wenn es zu einer Auflösung kommt, sind andere Mehrheiten nicht sicher. Nach einer Emnid-Umfrage aus der vorigen Woche würde die SPD 2 Prozentpunkte verlieren, die Linke 2 gewinnen. Alle anderen Parteien blieben unverändert und damit auch die Mehrheitsverhältnisse.
7. Die Koalitionsblockade. Koch kündigte gestern erneut an, er werde Möglichkeiten für Bündnisse mit der SPD oder mit FDP und Grünen sondieren. Die zweite Variante dürfte wohl an den Grünen scheitern, die angesichts ihrer Koalitionsverhandlungen mit der Hamburger CDU nicht den Eindruck erwecken wollen, sie würden überall und um jeden Preis mit der Union koalieren. Und bis es zu einer großen Koalition kommt, wird angesichts der personellen Unverträglichkeit noch viel Wasser aus den Wiesbadener Kurquellen sprudeln.
8. Der ewige Hesse. Wie man es auch dreht und wendet: Koch bleibt im Amt. Ob er es nun will oder nicht. Und zwar auf unabsehbare Zeit. Die Hessische Verfassung setzt keine zeitlichen Grenzen. Der SPD-Ministerpräsident Holger Börner hat von September 1982 bis Juni 1984 fast zwei Jahre lang geschäftsführend regiert, und das über zwei Landtagswahlen hinweg. Allerdings hatte er in den Grünen einen Tolerierungspartner, der ihm notfalls zu Mehrheiten verhalf. Theoretisch müsste Koch nicht einmal nach der nächsten regulären Landtagswahl im Februar 2013 abtreten - vorausgesetzt, die Mehrheitsverhältnisse bleiben so unklar wie zuvor.
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