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Blau wirkt etwas grau

Nach einem 1:1 gegen Bochum steht Schalkes Vernunftanfall bereits auf einem irrsinnigen Prüfstand  ■ Von Christoph Biermann

Gelsenkirchen (taz) – Schalkes erfolgreiches Trainer-Manager- Gespann, Jörg Berger und Rudi Assauer, stand im Gang vor der Kabine und tuschelte mit ernstem Blick. Die Spieler schlichen wortlos in die Kabine. Und Torwart Jens Lehmann hatte sein bestes Wer-mich-jetzt-anspricht-bekommt-was-vors-Maul-Gesicht aufgesetzt. Kurzum: Die Stimmung beim FC Schalke 04 war kurz nach dem Abpfiff des Spiels gegen den VfL Bochum so richtig mies.

Das hatte auch der „Vorsitzende des Vorstands“, vulgo: Präsident, nicht verhindern können. Schon vor dem Spiel hatte sich Gerhard Rehberg in der Stadionzeitung ans Publikum gewandt und den neuen Terminus der „enttäuschenden Unmutsäußerung“ lanciert. Mit diesen und „gar Pfiffen“ war das Team nach dem 0:0 gegen Mönchengladbach bedacht worden. Wofür, so meinte er, nun wirklich „überhaupt kein Grund“ bestehe. Überhaupt sei es ihm völlig unverständlich, wie die „Begeisterung und Euphorie“ aus der Vorsaison so schnell in „Mißstimmung und Enttäuschung“ umschlagen könne.

Vielleicht ist der Schalke-Präsident mit den manisch-depressiven Stimmungslagen der Schalke-Familie noch nicht richtig vertraut. Nach der blau-weißen Seligkeit des Sommers steuerte sie jedenfalls geradewegs auf eine vorgezogene Herbstdepression zu. Nach vier Bundesligaspielen hat man noch immer keinen Sieg. Wie am Freitag bei St. Pauli wurde gegen Bochum erneut eine Führung verspielt.

Das goldene Zeitalter, das viele im Parkstadion schon für angebrochen hielten, präsentiert sich im Moment eher in zartem Grau. Also pfiffen die enttäuschten Zuschauer ihre Lieblinge an einem kühlen Dienstagabend, an dem es zwischendurch aus Kübeln schüttete, trotz aller Mahnungen beherzt in die Kabine.

Dabei hatte Olaf Thon bereits nach 147 Sekunden mit einem wunderschönen Schuß aus über 30 Metern in den Winkel des Bochumer Tors getroffen. Dieser frühe Treffer leitete „unsere beste Halbzeit in dieser Saison“ ein, wie der Torschütze meinte. Zwar schwang sich Schalke nicht zu höchster Spielkunst auf, aber die deutliche Überlegenheit in den Zweikämpfen sorgte für eine Reihe Torchancen. Der VfL Bochum jedenfalls bekam lange Zeit, wie Trainer Klaus Toppmöller zugab, „kein Bein auf den Boden“. Als Ingo Andersbrügge jedoch drei Minuten vor der Pause einen Foulelfmeter übers linke Eck drosch, war der Zauber gebrochen.

„Wir haben heute die big points nicht gemacht“, meinte Olaf Thon. Nach und nach spielte die Mannschaft immer schlechter. Und dann schien auch Jörg Berger die Übersicht zu verlieren. Als Klaus Toppmöller zwei zusätzliche Offensivspieler einwechselte, nahm er den offensiven Anderbrügge vom Platz und brachte Verteidiger Prus. Folglich spielte sich die Schlußviertelstunde fast ausschließlich in der Schalker Hälfte ab. Der VfL Bochum blieb bei seinen wilden Angriffsbemühungen zwar unter den selbstgesetzten spielerischen Maßstäben, aber Georgi Donkov (Toppmöller: „Der hat schon an sich gezweifelt“) drosch vier Minuten vor Abpfiff wenigstens den Ball noch ins Tor.

Jörg Berger sprach hinterher mehrfach das Mantra „Wir müssen ruhig bleiben, sachlich bleiben“ vor sich hin. Doch aus Versehen rutschte ihm doch noch das böse Wort heraus: „Krise“. Daß es solche und „Durststrecken“ gäbe, sei doch normal. „Das habe ich nach drei Jahren, in denen es kontinuierlich nach oben ging, auch nicht anders erwartet“, sagte er.

Damit steht in den nächsten Wochen eine interessante Überprüfung der Schalker Metamorphose bevor. Angesichts des momentanen Durchhängers kann in der ehemaligen Heimstatt fortgeschrittenen Fußballirrsinns überprüft werden, ob die Vernunftanfälle der letzten Zeit mehr als nur flüchtig waren.

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