: Kompliziertes Steuerrecht
■ betr.: „Holland verdient Millionen an Steuerflüchtlingen“, taz vom 20.8. 96
Jetzt soll aus der Schrei- und Verzweiflungsshow der Margarethe Schreinemakers noch eine richtig gute Sendung werden. Noch nie hatte die Talkmasterin ein so brisantes, vernünftiges und zugleich so schwieriges Thema gewählt: das deutsche Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung eines Sendeortes in Köln, eines Wohnsitzes in Belgien und einer Produktionsfirma in den Niederlanden. Der Gegenstand besitzt professorale Ausmaße, er beschäftigt mittlerweile ein ganzes Finanzministerium samt Außenstellen, Minister Waigel kommt vor lauter Zurückweisen von Vorwürfen und Unterstellungen schon gar nicht mehr zum Einwerfen einer Steuerreform für alle. „Schreinemakers live“ hat bislang nicht das Niveau bewiesen, ein Thema, das mehr als einen Haupt- und einen Nebenaspekt hat, ausführlich, seriös und hinreichend darzustellen. Und jetzt der Steuerstreit?
Das Format der Sendung paßt in keiner Weise zum Format des Themas. Das Publikum, gewöhnt an eingewachsene Fußnägel, seit Jahrzehnten verloren geglaubte Schwiegersöhne und die tiefe Liebe zwischen Mensch und Tier, wird beim ersten Paragraphen die Fernbedienung quälen. Margarethe S. hat ihre Sat.1-Sendung abseits verzwickter Sachfragen eingerichtet. Auch ein Wechsel zu RTL noch während der laufenden Talkshow würde an der ungleichen Höhe zwischen Programm und Problem nichts ändern, das nur auf fachlicher Ebene zu lösen ist. Die Erotik des Steuerrechts ist anerkanntermaßen begrenzt, ebenso sich der Erregungszustand der Allgemeinheit in der Mittellage befindet. Wenn zudem eine Einkommensmillionärin um Millionen kämpft, sind die neidsüchtigen Mitmenschen eher auf Seiten des Herrn Finanzministers als an der Seite der Frau S.: Sie ist nicht die erste, die mittels elektronischem Medium eine Bürgerinitiative aus der Taufe heben möchte.
Nicht wenige Fernsehmenschen, berauscht vom eigenen Erfolg, würden gar zu gerne die Erde zur Scheibe erklären. Neu an dem Casus der Margarethe S. ist, daß eine Medienperson ihre Sendung für ihre eigene Sache dreist instrumentalisieren möchte – „Schreinemakers live“ eben. Steckt in dem Ansinnen schon eine gewisse Überhebung, muß Finanzier und Auftraggeber Sat.1 aus Gründen der Selbstachtung für das Fernsehprogramm darauf achten, daß die Schreinemakers nicht den ganzen Sender vorführt. Selbst der klitzekleinste Präzedenzfall könnte irgendeine irregeleitete Hupfdole veranlassen, demnächst Auftritt von hinten rechts einzuklagen. Und Frau Schreinemakers, erinnern wir uns, war einmal eine Hupfdole. Peter Horvath, Ravensburg
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