: Reisen im Kopf
Oft tolle Fotos, manchmal gute Reportagen und ein Layout wie am ersten Tag: „GEO“ wird zwanzig ■ Von Oliver Gehrs
Es war das Jahr, in dem Mao starb, der Erdnußfarmer Jimmy Carter US-Präsident wurde und Seveso in Flammen aufging. Für Stern-Chef Henri Nannen aber war es das Jahr, in dem „in Deutschland ein neues Magazin geboren wird“. So pathetisch konnten Blattmacher damals sein – zumindest wenn es galt, „ein neues Bild der Erde“ zu schaffen, wie es Herausgeber Nannen für GEO reklamierte: „Es ist ein kostbares, außergewöhnliches Magazin...“
Besonders außergewöhnlich war zunächst einmal der Preis: Acht Mark für ein Monatsmagazin – das war in der Tat neu. So neu wie das fast quadratische Format, die quietschgrüne Farbe und die ellenlangen Reportagen über Dutzende von Seiten. Gedruckt auf edlem Hochglanzpapier, für das so mancher Riese im Regenwald fiel.
Für GEO stellte Gruner + Jahr nur die Besten ab: Den Stern-Reporter Rolf Winter für die Texte und Rolf „das Auge“ Gillhausen für die zugehörige Optik. Schließlich stand nichts Geringeres an als eine monatliche Inspektion der Welt, wie sie das legendäre US- Vorbild National Geographic Magazine schon seit 1888 vorexerziert hatte. Gillhausen, der auch erster Chefredakteur wurde, bezeichnete die erste gedruckte Erdkundestunde als „opulente Dampfzeitschrift“: Aufwendigst recherchierte Reportagen und die besten Fotos aus allen Winkeln der Welt für die Reise im Kopf.
Im Wohnzimmer Stapel grüner Hefte
Die LeserInnen wußten es zu schätzen. Vor allem, daß sie zum ersten Mal nur zum Kisok gehen mußten, um mit dem Bildungsbürgertum Schritt zu halten. GEO hatte den Zugang zum naturwissenschaftlichen Spezialwissen demokratisiert und dem durchschnittlichen 70er-Jahre-Menschen ein erschwingliches Statussymbol gegeben. Weil GEO zu schade war, um neben Stern und Bunte im Altpapier zu landen, zierten so manchen Wohnzimmerschrank schon bald Stapel grüner Hefte – viele davon ungelesen.
Noch heute finden sich bei jedem Trödler neben den Kisten mit Büchern und alten Fotoalben stets Kartons voll guterhaltener GEO- Ausgaben. Darunter manch legendäres Exemplar – wie die Ausgabe vom August 1981. Damals grinste ein chinesischer Pandabär vom Titel, und im Editorial warb Chefredakteur Rolf Winter für die zugehörige Sensationsstory: „Als erstem westlichen Reporter“ sei es einem GEO-Fotografen gelungen, Bilder der „legendären, vom Aussterben bedrohten Panda im Naturreservat Wolong“ zu schießen. So schwer war das aber gar nicht, denn die abgebildeten Tiere stammten nicht aus der Wildnis, sondern aus einem chinesischen Freigehege, wie der World Wildlife Fund aufdeckte. GEOs erster kleiner Skandal, dem noch kleinere folgten. So mokierte sich die Zeit im Sommerloch 1984, daß ein GEO-Autor seinen Darwin nicht richtig gelesen habe und paraphrasierte naseweis die betreffende Schlagzeile: „Irrtum des Monats.“ Viel mehr war aber nicht.
Als wäre Fontane noch mal losgestiefelt
Der eigentliche Qualitätsverlust kam eher nebenher, schleichend, und wohl nicht zuletzt deshalb, weil der ruhige Posten bei GEO vielen der mittlerweile sieben Chefredakteure nur als Durchgangsstation zu höheren Gruner +Jahr-Weihen galt. So wurden die Themen allmählich beliebiger, die Aufmachung reißerischer, und in die Heimatreportagen übers Sauerland und die Mark Brandenburg schlich sich ein romantisierender Duktus, als wäre Theodor Fontane noch einmal losgestiefelt.
Im Ringkampf mit naturnaher Sinnlichkeit entgleitet noch heute so manche Geschichte ins Belanglose. „Das Holz macht ,Sssst', ,wfff‘ macht der Mops...“, begann im Augustheft eine Reportage über herrenlose Hunde in Portugal, und in der neuesten Ausgabe prangt über einem Reisebericht aus den Elbauen die larmoyante Überschrift: „Wo Unkenrufe eine Freudenbotschaft sind.“ Dort ist es meist der ausbleibende Storch, der den GEO-AutorInnen immerwährendes Mentekel für den drohenden Untergang ist.
„Es ist nicht leicht, gute Autoren zu finden“, sagt GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, der eben erst den Wechsel des Kisch-Preisträgers Alexander Smoltzyk zum Spiegel verkraften mußte. „Leute, die den Atem und die Temperatur haben, über lange Strecken zu gehen, sind selten.“ Und so tummelt sich auf mancher Marathondistanz nur journalistisches Mittelmaß.
Trotzdem finden sich, verglichen mit dem Rest der Publikumszeitschriften, in GEO noch viele Reportagen, die sich nicht nur in der Länge wohltuend vom kurzatmigen Einerlei abheben: Regelmäßig heimsen die AutorInnen Theodor-Wolff- und Egon-Erwin- Kisch-Preise ein. Für Gaede Bestätigung, daß „Magazine, die auf kurze Halbwertzeiten designed sind, die Landschaft schnell wieder verlassen werden.“ GEO bleibe sich treu und werde genau deshalb verhaltensauffällig. Dabei ist GEOs optische Beständigkeit das beste Argument gegen die kostspielige Relaunch-Manie. Denn obwohl die letzte Ausgabe genau wie die erste aussieht, ist die Leserschaft des Erdkundemagazins immer jünger geworden: Von den drei Millionen LeserInnen sind über die Hälfte unter 39 Jahre alt.
Man kann Info-Elite auch anders definieren
So zeigt GEO, daß man Info-Elite auch anders definieren kann als Focus: Die Anfangsauflage von 100.000 Heften wurde in kurzer Zeit vervierfacht – seit einigen Jahren liegt sie konstant über einer halben Million – weit vor Merian oder Globo.
Wobei GEO-LeserInnen besonders treu sind. Laut einer Umfrage sammeln vier von fünf Abonnenten „alle Ausgaben“, und oft geht die Blattbindung sogar über die reine Sammelwut hinaus: Im virtuellen Briefkasten von „GEO- online“ hinterlassen eifrige LeserInnen regelmäßig krude Themenvorschläge wie „Der Mond – Menschenmörder und Ursache des Übels auf Erden“ oder „Wie ich die Temperatur des Jupiters entdeckt habe“. Ein Abonnent aus Nairobi schickte gar ein 3.400seitiges Manuskript mit der Bitte um Veröffentlichung: Antworten auf alle Lebensfragen.
Als Hauptverkaufsargument haben sich über die letzten zwanzig Jahre die ausufernden Bildstrecken gehalten. In den 70er Jahren hielt sich damit so mancher Fotograf über Wasser. Diese fetten Zeiten sind vorbei. Seitdem die Erfolge bei Gruner + Jahr ausbleiben, muß auch GEO kürzer treten. „Die Helikopterflüge am Anfang der Recherche sind passé“, sagt Gaede, der auf der Suche nach neuen optischen Konzepten immer mehr Fotografen aus Frankreich und den USA beschäftigt. Besonders bei wissenschaftlichen Themen gelte es, das „Unfotografierbare zu fotografieren“.
Das nächste GEO heißt „GEO-Zuviel“
Den Zusatz „Ein Magazin vom Stern“ hat GEO schon lange nicht mehr nötig. Längst hat sich das Monatsmagazin mit GEO-Wissen, GEO-Spezial und GEO-Saison eine eigene Produktfamilie geschaffen. Und für alle, die nicht sehen können, erscheint einmal im Monat ein GEO für Blinde: zwei Kassetten, besprochen mit Reportagen und Rubriken. Letzten Herbst startete im ZDF eine Dokumentarfilmreihe, die demnächst bei Premiere und im NDR fortgesetzt wird, und im Herbst will man zu Unicefs 50stem Geburtstag ein Kinder-GEO herausgeben.
Angesichts dieser geballten Diversifizierung schwant Gaede bereits der Ausverkauf der Marke. Es gebe eine Grenze im materiellen wie immateriellen GEO-Budget der Leser. „Der nächste Ableger müßte GEO-Zuviel heißen.“
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