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Der Dienstmagd Liebe

■ Spielzeiteröffnung im Thalia mit Ferenc Molnárs „Der gläserne Pantoffel“

Ein Märchen zur Spielzeiteröffnung: Aschenputtel heißt Irma, kämpft wie eine Löwin für ihre Liebe, und der angebetete Prinz ist ein ältlicher, grantelnder Möbeltischler, der aussieht wie eine Mischung aus Professor Hastig und Helge Schneider. Der „gläserne Pantoffel“ schließlich stammt nicht von einer Fee, sondern ist der ausrangierte Schuh einer Prostituierten, den die unglückliche Irma kauft, um sich selbst bei einem Puff zu bewerben.

Ferenc Molnárs selten gespieltes Lustspiel von 1924 ist aber nicht nur Märchen, sondern auch Sozialstück. Warum Regisseur Jürgen Flimm dieses Stück ausgräbt, bleibt ein Rätsel, aber er kann daraus – über Strecken – einen komisch-anrührenden, abonnenten-kompatiblen Theaterabend zaubern – dank seines Spitzenensembles.

Annette Paulmann – von Alice zum Aschenputtel – spielt, nein tanzt und zaubert die arme, aufgedrehte Dienstmagd, die den zukünftigen Ehemann ihrer Ziehmutter und Chefin verehrt. Sie küßt sein Besteck, beneidet das Glück seiner Serviette. Hier zuzuschauen ist Theatergenuß. Und es ist umso schöner, als die Paulmann ebenbürtige Mitspieler hat: Wolf-Dietrich Sprenger als wortkarger, schrulliger Möbeltischler entstaubt das Märchen zur Groteske und entlockt dem Molnár fast absurde Seiten. Sandra Flubacher als liebesschwache Ziehmutter Adele und Sven-Eric Bechtolf als dümmlich-eitler Untermieter Kaiser spielen das andere Paar, das vorerst nicht zusammenfinden darf: Zwar lieben sie sich heimlich, aber aus Angst vor der richtigen Liebe will Adele ihre Langzeitaffäre, den Möbeltischler heiraten.

Doch leider bleibt dieses Quartett nicht allein: Der zweite Akt, die Hochzeit, wird nicht zur Märchennacht – trotz zauberblauem Bühnenrund mit aufgetürmten Stühlen und Lampions (Bühnenbild von Rolf Glittenberg) – sondern bleibt vorerst Klamotte mit Musik. Zum Fototermin wird in einer Gesellschaftsszene ordentlich Slapstick betrieben, die spritzende Sodaflasche soll als running gag dienen. Spannend wird es erst, wenn die betrunkene Irma den Skandal provoziert und die Affäre von Adele und Kaiser herausposaunt. Hier finden sich poetische Momente und Einblicke in die Tiefen der Figuren.

Zum Beispiel die Frauen: Beide, die Theaterfanatikerin Irma und Adele, die ihr das Theater verbietet, spielen im Leben Theater: Adele inszeniert aus Angst vor der Liebe ihr Leben selbst zum Gefühl – bis hin zum Hochzeitstanz mit dem Ungeliebten. Irma dagegen lebt die große Geste des Theater den Pathos, den Schmerz. Diese bei Flimm herausgestellte Theatralität der Figuren hält auch das Stück in der Balance zwischen Komödie und Drama, zwischen Märchen und Sozialstück.

Nach der geplatzten Hochzeit folgt der Kater, nach der Pause nicht viel mehr als die Auflösung der Liebeswirren. Das Stück geht voran, die Inszenierung läuft hinterher. Irma hat sich in ihrem Schmerz bei einem Puff beworben und wurde dort aufgegriffen. Im Polizeirevier werden die Liebespaare – zwischen den komparsenhaften Randfiguren – nun sortiert. Ein merkwürdiges Happy-End.

Trotz dieser Schwächen beweist Märchenerzähler und Thalia-Vater Flimm einmal mehr, daß er eines der besten (Groß-)Stadttheater leitet. Und diese Spielzeiteröffnung demonstrierte Flimms Weg, das Theater durch finanzkrisenhafte Zeiten zu manövrieren: mit Abonnententheater.

Niels Grevsen

Nächste Aufführung, 4. September, 20 Uhr, Thalia Theater

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