■ Mit der Carnaby Street auf du und du: Mythos zu verkaufen
Dublin (taz) – Auf dem Bogen über der Straße steht noch immer dieselbe Aufschrift: „Welcome to Carnaby Street.“ Sie war das Symbol für „Swinging London“, das Mode-Eldorado für die Teens und Twens der sechziger Jahre in jener Zeit der kurzen Röcke, der ärmellosen Blümchenkleider und der grellbunten Feinstrumpfhosen. Die Carnaby Street stand für das euphorische Lebensgefühl und die hektische Atmosphäre der englischen Hauptstadt.
Der weltweite Ruf der kleinen Straße zerstörte schließlich ihren Zauber: Als die Touristen in den siebziger Jahren kamen, entstanden immer mehr Ramschläden, die billige Souvenirs und Plastiktinnef verkauften. Jetzt kommt die Carnaby Street unter den Hammer.
Die niederländische Immobiliengesellschaft Wereldhave, die 1988 bei der Übernahme der britischen Firma Peachy Properties in den Besitz des 1,2 Hektar großen Geländes gekommen war, möchte mindestens 69 Millionen Pfund dafür haben. Wereldhave erwirtschaftet vier Fünftel seiner Unternehmensgewinne aus Grundstücksgeschäften.
Im vergangenen Monat hat die Geschäftsführung allerdings eine Neuorientierung beschlossen: Künftig will das Unternehmen verstärkt in Wohnsiedlungen und Apartmenthäuser investieren. Vor kurzem wurden zwölf Einzelhandelsgeschäfte und die Anteile an einem niederländischen Einkaufszentrum in Belgien verkauft.
Die Carnaby Street bildet den berühmtesten und wertvollsten Posten im Besitz von Wereldhave. Zugleich ist die Carnaby Street auch das größte Grundstück im Londoner Westend, das seit dem Verkauf des vier Hektar großen Langham- Viertels im Dezember 1993 auf den Markt gekommen ist. Damals mußte die Li-Familie aus Hongkong 51 Millionen Pfund hinlegen.
Die berühmte Straße südlich der Oxford Street besteht aus 93 Häusern, die im 17. und 18. Jahrhundert erbaut wurden. Die meisten stehen unter Denkmalschutz. Mitte des 20. Jahrhunderts siedelten sich kleine Läden und Werkstätten in den Gebäuden an. Ende der fünfziger Jahre kamen viele Modeboutiquen hinzu. Seit 1980 sind die Einnahmen aus den Ladenmieten um das Vierfache, aus den Büromieten sogar um das Siebenfache gestiegen. Insgesamt wirft die Straße 5,8 Millionen Pfund im Jahr ab. Ralf Sotscheck
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