"Liebe taz..." Bei der VHS humorvoll schreiben lernen! - betr.: "Wolkeninterpretation", taz-Bremen vom 17.8.1996

Betr.: „Wolkeninterpretation“, taz vom 17.8.1996

Daß Mutter Volkshochschule für alles und jedes zuständig ist, weiß die geneigte Leserin/der ebenso geneigte Leser seit langem, spätestens aber von der nur unwesentlich jüngeren Tante taz. Daß aber jede spezielle Zielgruppe unerbittlich betreut und mit schlechtes Gewissen erzeugender Vollständigkeit überzogen wird, erschließt sich nur dem, der sich durch die Seiten und Aberseiten des aktuellen Programms wühlt.

Eine kleine Auswahl dessen, was allein der schreibenden Zunft an Hilfe-, Nach- und Abhilfe angedient wird, belegt den unerbittlichen Willen der ProgrammacherInnen, das Pressewesen auf seinem unaufhörlich einer lichten journalistischen Zukunft zustrebenden Weg zu begleiten:

„Lesen und Schreiben von Anfang an“ ist da wohl eher für Praktikanten und Volontärinnen gedacht, mit „Rechtschreibung I-III“ kann aber auch dem fortgeschrittenen Mitarbeiter wohl geholfen sein. „Texte erstellen und Texte bearbeiten“ behandeln die Grundfragen des Handwerks, während „Computerschreiben I“ wohl eher die Fertigkeit schult, die der Eloquenz und der bissigen Formulierungskunst den leider noch notwendigen Weg in die mediale Umsetzung ebnet. Für Fortgeschrittene, die der Göttin des Ganzheitlichen huldigen (und wer wollte sich heute dieser rituellen Übung verweigern?), drängt sich die Einführung in „Desktop-Publishing“ umweglos auf. Ob Feuilleton oder Kultur – „Humorvoll Schreiben“ will und kann gelernt sein.

Doch nicht nur das direkt Funktionale kümmert Mutter VHS, auch die elendigen Folgen dieser unserer rastlosen (Arbeits-)Zeit wollen gleichberechtigt in den Blick und die weiterbildnerische Arbeit am Journalisten genommen werden. Gelegentlich in Kontakt mit anderen Berufsgruppen (wichtig!) kommt dieser beim „Gedächtnistraining“, auf daß er, vorwärts, nicht vergesse, daß Angebote wie „Streß- und Zeitmanagement“ und „Gesundheitsvorsorge durch Rückengymnastik“ das kommunale Weiterbildungszentrum zu einer nicht nur wertvollen, sondern gar nicht mehr wegzuschreibenden Begleiterscheinung in den Fährnissen des Arbeitsalltags haben werden lassen. In Momenten des Überdrusses kann – „Wenn ich erst in Rente bin“ – dem Ende der harten Arbeitsfron entgegengeträumt werden.

Aber halt! – wo bleibt das Eine, das Geistige, die Auseinandersetzung mit dem Letzten? Kommt es etwa zu kurz wie allzuoft im emsigen Getriebe der Redaktionsstuben?

Gemach – auch hier werden die Fragen eines schreibenden Arbeiters nicht ohne Antwort gelassen: „Hat die Welt einen Sinn?“ – wer wollte sich der erschreckend brachialen Unmittelbarkeit der Sinnfrage verschließen, zumal Mutter Volkshochschule tröstend die Arme ausbreitet und mit „Bildung auf Bestellung“ ganze Redaktionen gegen erträglich geringe Gebühren bildungsmäßig zu versorgen verspricht?

Und wenn dann gar nichts mehr gehen will, dann begleitet die VHS, Lob, Dank und Preis seien ihr dafür gewiß, den dem Eskapismus bisweilen nicht völlig abholden Schreiber auf seiner „Reise durch das Sonnensystem“, per aspera ad astra sozusagen. Horst Rippien, Chef der VHS Bremen