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Unterm Strich

Die Stadtplaner haben vor Jahren festgestellt, daß man die Bewohner unwirtlicher Neubauviertel am besten dadurch zusammenbringt, daß man einen Skandal inszeniert, über den sie sich aufregen und entzweien können. So ist es auch im Großen: Die vor Jahren in den staatstragenden Reden so sehnlich herbeigewünschte „innere Einheit“ läßt immer noch auf sich warten, und das liegt weniger daran, daß es nicht genug gemeinsame Werte gibt, als vielmehr daran, daß nicht genug Themen vorhanden sind, über die beide Seiten ins Gespräch kommen können, ohne sich einigen zu müssen. Themen nämlich vergesellschaften nicht durch Konsens wie die allseits gern beschworenen Werte, sondern durch Dissens – und das macht sie unserer heutigen Situation soviel angemessener. In diesem Sinne wird man den „Barbier von Bebra“ noch einmal als patriotische Tat zu würdigen wissen, weil er dem Publikum das Thema des gespaltenen deutschen Humors vorgab – als Skandal, zu dem man sich verhalten muß. Wolf Biermanns Interview in der Berliner Zeitung vom vergangenen Samstag erwirbt sich ähnliche Verdienste, wie schon so viele seiner deutsch-deutschen Interventionen: Die DDR lebt nach seiner Ansicht „in den Untertanen von damals“ weiter. In dem Gespräch aus Anlaß seiner Ausbürgerung aus der DDR vor 20 Jahren im November 1976 sagt Biermann, die Menschen aus der DDR seien „geprägt und schwer gezeichnet“. Es seien „Menschenruinen, die noch mühsamer repariert werden müssen als die Häuser“. Grauenhafter als die vielen kaputten Häuser – so viele wie in der DDR habe er nur noch in Georgien, in Stalins Heimat, gesehen – sei „der Stacheldraht, der in die Gehirne der Menschen eingewachsen ist: im Osten verrostet, im Westen vergoldet“. Den selbstgerechten Wessis gönne er den Ärger mit den jammernden Ossis. Was seine damalige Ausbürgerung aus der DDR betreffte, die ihn bei einer Konzertreise in Westdeutschland überraschte, so habe er in seinen Stasi-Akten jetzt nachlesen können, daß er in Köln auch den ganzen Abend „Hänschen klein, ging allein“ hätte singen können, „sie hätten mich trotzdem nicht zurückgelassen“. Hätte er das aber vorher gewußt, wäre er sicher nicht gefahren. Die enormen Auswirkungen der Ausbürgerung, vor allem die Protestresolution vieler prominenter DDR-Künstler, habe damals keiner

voraussehen können, auch das SED-Politbüro nicht. Es habe sich hinterher schwarz über diesen taktischen Fehler geärgert. „Die Ergebenheitsadressen kamen nicht nur von den Vorzeige-Werktätigen, sondern auch von domestizierten Schriftstellern, von Kaisers Geburtstags-Dichtern und anderen Kanaillen.“ Letztlich hätten ihm die damals Herrschenden einen Riesengefallen getan: „Ohne das Verbot wäre ich auch in die Gefahr gekommen, so dumm-schlau zu werden wie Heiner Müller, als er mit der Stasi poussierte. Ich hätte vielleicht auch meinen langen Löffel rausgeholt und mit dem Teufel gegessen.“

Kurt Masur, dem berühmten Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses, soll beim Lesen des „Leipziger Amtsblatts“, Medium der Stadtverwaltung, der Kragen geplatzt sein. 1998, wenn Herbert Blomstedt das Amt des Gewandhauskapellmeisters übernimmt, so stand es dort, sollen zwei gleichberechtigte Betriebsleiter, einer für Kunst und einer für Organisatorisches, den Musentempel führen. Masur, bisheriger Alleinherrscher im weltberühmten Konzertsaal, fühlte sich übergangen. Am Freitag teilte er mit, daß er seinen zum Jahresende auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. Damit drohen dem ältesten bürgerlichen Orchester Deutschlands zwei Jahre ohne künstlerische Führung. Doch Leipzigs Beigeordneter für Kultur, Georg Girardet, gibt sich zuversichtlich: „Ich halte die innere Stabilität des Orchesters für ausreichend, um die Zeit zu überbrücken. Außerdem hat Masur zugesichert, weiter als Dirigent zur Verfügung zu stehen.“ Kurt Masur hatte im vergangenen Jahr nach internen Querelen angekündigt, er werde bis 1998 verlängern. Nun kam überraschend der vorzeitige Abgang. Die Sicherung des Gewandhauses sei sein Lebenswerk, hat er einmal gesagt. Im vergangenen Jahr setzte die Götterdämmerung ein. Auseinandersetzungen mit Musikern begannen, Leipzigs Kulturpolitiker begegneten ihm zunehmend „unsensibel“, wie es heißt. Sein Nachfolger wurde in seiner Abwesenheit der Öffentlichkeit vorgestellt, Anfang dieses Jahres wurde Masur in Etatdiskussionen verwickelt. „Ich sehe mein Lebenswerk bedroht“, sagte er. Die Stadt plant längst über Masur hinaus und redet mit Blomstedt über die Zeit nach 1998. Die Änderung der Satzung für das Gewandhaus war Masur inhaltlich bekannt, dennoch fühlte er sich formal übergangen, was vermutlich das Faß zum Überlaufen brachte. Masur wolle den notwendigen Strukturveränderungen bis 1998 nicht im Wege stehen, teilte die Stadt als Begründung für dessen vorzeitigen Abschied mit. Für den 69jährigen Künstler, der 26 Jahre lang das Orchester leitete, war das ein Schlag ins Gesicht. In einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger hatte er kürzlich gesagt: „Da ich neuerdings nur gebraucht werde, um abzubauen, was ich aufgebaut habe, bin ich meiner Meinung nach nicht mehr richtig am Platz.“

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