Auf dem Weg in ein gefährliches Abenteuer

■ Der weißrussische Parlamentspräsident Sjamen Scharetzki warnt vor einer Diktatur

taz: Die Stimmung in Weißrußland verschlechtert sich zusehends. Die Kritik an der Politik des Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko wächst. Viele sehen bereits eine Diktatur heraufziehen.

Sjamen Scharetzki: In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Krise in unserem Lande immer weiter verschärft, sowohl ökonomisch als auch politisch. Zuerst hat der Präsident nur einzelnen Abgeordnete angegriffen. Dann hat er sich mit dem Verfassungsgericht angelegt und begonnen, gegen den Obersten Sowjet vorzugehen. Jetzt will er die Verfassung ändern und sich damit die alleinige Macht im Staat aneignen. Gerade die Deutschen haben in ihrer Geschichte erfahren müssen, wohin das führt. Zwar ist Weißrußland nicht Deutschland, und es wird auch keinen Krieg gegen andere Staaten beginnen. Doch solche Methoden gegenüber Andersdenkenden wie damals in Deutschland sind heute bei uns nicht ausgeschlossen. Ja, sie werden bereits angewandt.

Welcher Politiker steht noch auf der Seite von Lukaschenko?

Nur seine Beamten, sonst niemand. Nehmen wir den Runden Tisch. Die Einrichtung dieses Gremiums an sich sagt doch schon genug. Da sind ganz unterschiedliche Leute versammelt wie Vertreter der weißrussischen nationalen Volksfront und der Kommunisten. Ich als Vorsitzender der Agrarpartei teile die Ansichten so einer Partei wie der Volksfront keineswegs. Trotzdem habe auch ich die gemeinsame Erklärung unterschrieben. Denn ich habe begriffen, daß jetzt alle Parteien die gleiche Aufgabe haben: die Gesetzmäßigkeit im Lande wieder herzustellen.

Der Runde Tisch hat Lukaschenko eine Frist bis zum 15. September gesetzt. Wenn der Präsident bis dahin seine Verordnungen nicht zurücknimmt, soll ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden. Halten Sie so ein Verfahren für realistisch?

Noch ist diese Frage nicht an den Obersten Sowjet herangetragen worden. Doch alles weitere wird nicht vom Parlament abhängen, sondern davon, wie der Präsident agiert. Wenn Lukaschenko weiter die Verfassung verletzt, hat der Oberste Sowjet die Möglichkeit, diesen Schritt zu tun.

Sehen Sie überhaupt noch Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit dem Präsidenten?

Lukaschenko sagt heute das eine und morgen etwas ganz anderes. So hat er angekündigt, er werde das Geld für das Referendum beschaffen, zwei Millionen Dollar. In welchem Land der Welt hat denn ein Präsident seine Privatkasse, außerhalb des Budgets? Zwei Tage später hieß es dann, die Volksabstimmung werde kostenlos durchgeführt. Kostenlos kommen die Leute vielleicht zum Referendum. Aber die Stimmzettel, werden die auch umsonst gedruckt? Nein, Lukaschenko ist kein Staatsmann. Er führt das Land in ein gefährliches Abenteuer. Dieser Mensch ist dem Amt nicht gewachsen. Er hat einen engen Horizont und ein niedriges Niveau. Bei den Wahlen sind die Leute auf seinen Populismus hereingefallen. Es gibt viele Beispiele dafür, daß die Menschen einen Diktator unterstützen. Und dann müssen sie dafür teuer bezahlen.

Welche Konsequenzen hat die Politik Lukaschenkos für das Ansehen Weißrußlands im Ausland?

Lukaschenko hat es bereits geschafft, Weißrußland von der Weltgemeinschaft zu isolieren. Wir sind eines der wenigen Länder, über dessen Beitritt zum Europarat noch nicht einmal verhandelt wird. Und das mit der Begründung, daß in Weißrußland die Menschenrechte verletzt werden.

Der Vorsitzende der Volksfront, Senon Posniak, und sein Pressesprecher haben in den USA politisches Asyl erhalten. Was bedeutet das für Weißrußland?

Was soll das bedeuten? Wenn jemand woanders um politisches Asyl bittet, heißt das, daß er in seinem eigenen Land keine Unterstützung mehr hat. Posniak hat sich als Politiker diskreditiert. So hat er die Menschen bei der Gedenkfeier für die Toten von Tschernobyl aufgefordert, nicht der Opfer der Katastrophe zu gedenken, sondern des Tschetschenenführers Dudajew. Der hat mit Weißrußland nichts zu tun. Für Freiheit und Menschenrechte muß man im eigenen Land kämpfen und nicht davonlaufen. Interview: Barbara Oertel