: „Verstümmelte Wahrheitsfindung“
Internationale Kommission legt Bericht zum Lübecker Brandanschlag vor ■ Von Marco Carini
Das Fazit ist vernichtend: Einseitige Ermittlungen, die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie die fehlende Sicherstellung wichtiger Beweismittel wirft die „Internationale Unabhängige Kommission (IUK)“ der Lübecker Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des Brandanschlages im Flüchtlingsheim an der Lübecker Hafenstraße vor. Durch das Feuer waren am 18. Januar zehn MigrantInnen getötet und weitere 38 verletzt worden. Das neunköpfige Gremium, dem unabhängige RechtsanwältInnen aus fünf Ländern angehören, befürchtet, daß in dem am kommenden Montag beginnenen Strafverfahren gegen den Verdächtigen Safwan Eid „die Wahrheitsfindung“ nur „partiell und verstümmelt erfolgen kann“.
Ein Grund dafür sehen die Juristen in dem ungesicherten Aufenthaltsstatus der ehemaligen BewohnerInnen des abgebrannten Flüchtlingsheimes. Nur „eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung“ dieser potentiellen ZeugInnen „bis zum definitiven Abschluß des Verfahrens“ könnte gewährleisten, daß „die Rechte der Verteidigung“ nicht verletzt würden.
Da bereits ein Zeuge abgeschoben und ein weiterer ehemaliger Heimbewohner aus Angst vor Abschiebung untergetaucht sei, seien „bereits Fakten geschaffen worden, die die Wahrheitsfindung behindern“ könnten. Denn beide Zeugen schliefen in der Brandnacht im ersten Stock des Hauses, dem Ort also, an dem die Staatsanwaltschaft den Brandausbruch behauptet.
Doch gerade bei der Ermittlung der Brandumstände wirft die IUK der Lübecker Staatsanwaltschaft schwere Versäumnisse vor. „Brandausbruchszeit und Brandverlauf“ seien völlig unbestimmt, zur Aufklärung wichtige Asservate seien verschwunden. Da „ein Brandanschlag von außen angesichts der Sachlage nicht ausgeschlossen werden“ könne, fordern die JuristInnen gerade in diesem Punkt „die Wiederaufnahme der Untersuchungen“.
Zudem merkt die IUK an, daß das Brandverlaufs-Szenario in mehreren Punkten „physikalischen Gesetzen“ kraß widerspricht: Benzin wäre danach bergauf geflossen, eine direkt über dem angeblichen Branddurchbruch zum zweiten Stock hängende Klopapier-Rolle kam inmitten des flammenden Infernos ohne Brandspuren davon.
Daneben weist die Kommission auf Widersprüche in den Aussagen des Hauptbelastungszeugen Jens L. hin, der in verschiedenen Versionen behauptete, Eid habe ihm noch in der Brandnacht die Tat gestanden. Daß der Beschuldigte im Gefängnis abgehört wurde, bewertet das Gremium als „Lauschangriff, der die Grundrechte weitgehend mißachtet“. Auch würden die umstrittenen Aufzeichnungen nichts enthalten, was die Schuld von Eid beweise.
Darüber hinaus fordern die AnwältInnen die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen vier Jugendliche mit Kontakten zur rechten Szene. Eine „Fülle offener Widersprüche und Ungereimtheiten“ kennzeichne den Erkenntnisstand der Staatsanwaltschaft in bezug auf die jungen Männer, die in der Tatnacht in der Nähe des Brandortes gesichtet worden waren. Hier habe die Staatsanwaltschaft, so faßt der Kommissionsbericht zusammen, „einseitig und nicht, wie es ihre Pflicht ist, objektiv und unvoreingenommen ermittelt“.
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