Swinging Pakistanis

„Brothers in Trouble“ von Udayan Prasad zeigt die englischen Sixties aus der Untersicht der Emigration  ■ Von Harald Fricke

Wie der Pop, so das Kino: Immer mehr vertäuen sich die filmischen Biographien an den Fixpunkten der Sixties. Drogen, Beat, Liebe im Sommer, Indientrip. Für Beatles, Leary, Kerouac, Oliver Stone oder selbst Ken Loach war es die aufregendste Zeit ihres Lebens. Und auch für die Familie eines gewissen Abdullah Hussein, dessen Roman „The Return Journey“ von Einwanderern handelt, die in den sechziger Jahren aus Indien und Pakistan zumeist illegal nach England kamen.

Daß diese Art Go-West-Bewegung jetzt erstmals verfilmt wird, bringt natürlich eine Reihe von Race-, Class- und Gender-Verstrickungen mit sich. Ansonsten hat der britische Dokumentarist Udayan Prasad bei seinem ersten für BBC produzierten Spielfilm nicht ganz auf den Spaß verzichten möchten, der sich im Strudel der stets gegenwärtigen Correktness seiner Palmen, Löwen und Bären gewinnenden Kollegen abspielt. Also sieht man bei ihm neben tränenreich in Szene gesetzten Irrungen und Wirrungen des Exils schon mal Moslems in Lederjacken und swingende Pakistanis, die zu den Kinks schüchtern im Club abgrooven.

Direkt ins Herz der Finsternis

Zunächst ist die Reise jedoch der Horror, den man als Zuschauer auch erwartet. Für Amir (Pavan Malhorta), der in der Heimat den letzten Schmuck seiner Frau verhökert hat, entwickelt sich der Wechsel nach England zum steten Abstieg. Schon zu Beginn entmündigt ihn ein Schlepper und verfrachtet ihn in einer dunklen Gemüsekiste auf dem Schiffsweg nach Leeds, wo der Weg von Bord direkt ins Herz der Finsternis – eine düstere Bruchbude – weiterführt. An die zwei Dutzend Männer hausen dort auf einem Haufen, das Licht bleibt aus Angst vor den Nachbarn immer gelöscht. Zwar versucht man der Situation entsprechend im Supermarkt oder auf dem Amt irgendein gebrochenes Englisch zu murmeln und streitet sich dafür zu Hause doch um so lauter, ausgiebiger und orientalischer. Dann kippt der Brit-Realismus durchaus rasant ins augenbrauenrollende Pathos der Dramen aus Bollywood um.

Die Welten mischen sich jedenfalls von beiden Seiten nicht. Gearbeitet wird schwarz in der Wollfabrik, sonntags kommt eine Prostituierte zur Massenabfertigung. Der Rest ist Kartenspielen, Warten und wieder Zahlen, an den Halunken im Nadelstreifenanzug, der sie eingeschleppt hat. Zum erhofften Reichtum gelangt auf diese Weise eben nur der Mittelsmann, der nicht zufällig aus dem eigenen Land stammt. Als der Älteste der Zwangsgemeinde stirbt, kommt nicht einmal das Geld für die Überführung der Leiche zusammen. Aber lebend will auch keiner zurück. Schließlich haben die Männer ihren Stolz, der sich bei Prasad ab und an im Mißmut über das Wetter entlädt.

Soweit das Gerüst aus Ethnostudien und Elend in der Fremde. Doch dem Regisseur, der selbst aus einer Einwandererfamilie stammt, geht es gar nicht darum, diese Grundsätzlichkeiten nochmals auszuschlachten. Das Leben ist kein Zwischenlager – mit dieser eher unsufistischen Erkenntnis arrangiert sich Amir in der neuen Welt, ähnlich wie Russen, Chinesen oder Bayern 80 Jahre vorher in Amerika. Auch für seine Zimmergenossen ist England trotz der Widrigkeiten eher ein willkommenes Abenteuer als bloß nackte Hölle des Kapitalismus. Der junge Schriftsteller Sakib (Pravesh Kumar) genießt den Nervenkitzel des Exils als Quelle der Inspiration, Hussein Shah (gespielt von dem indischen Filmstar Om Puri) hat es bereits zum Nachtwächter gebracht – und zu einer weißen Geliebten, die eines Tages mit in das Männerhaus einzieht.

Islamisch strenge Eheanbahnung

Die Probleme kommen erst, als Mary (Angeline Ball aus „The Commitments“) schwanger wird: Das Kind ist von einem Schwarzen. In seiner Ehre verletzt, zwingt Shah sie mit islamischer Strenge, einen Neffen zu heiraten, damit die unselige Beziehung wenigstens ihm die Staatsbürgerschaft sichert. Der junge Mann nur dankt es dem Onkel nicht, sondern paßt sich schneller Land und Leuten an, als der Sippschaft lieb ist. Gleich nach der Heirat schneidet er den Schnurrbart ab und besorgt sich Jeans. Dann zieht er betrunken mit Mary durch die Pubs und überredet Sakib, es ihnen gleichzutun. Zumindest sieht der verhinderte Bohemien so einmal jene Welt, von der er gerne wie Oscar Wilde schreiben würde. Und eine Band spielt „You really got me“.

Die unwirsche Solidargemeinschaft bricht an diesem Frevel vollends auseinander, Shah greift zum Messer, und im Eifer der Gefühle streckt ihn der Neffe tot zu Boden. Panikartig flieht man auseinander, Sakib landet gar in der Psychiatrie – und um das Durcheinander komplett zu machen, läßt Prakad am Ende Amir mit einem britischen Paß in der Tasche über grüne Wiesen stapfen. Ein zwar nicht ganz glücklicher Zufall, dessen Sinn fürs Mögliche das europäische Kino zur Zeit trotzdem kaum noch ertragen kann.

Die Verflechtungen, denen man in „Brothers in Trouble“ begegnet, sind so kompliziert wie in Filmen von Hanif Kureishi oder Stephen Frears, bei denen sich all die Fragen nach Identität im Waschsalon längst rosa verfärbt haben. Auch Prasad nimmt die Sozialgeschichte seiner Elterngeneration nicht einfach als Leidensweg einer vor sich hin zitternden Außenseiter-Community an. Vielmehr wissen Prasads Figuren zwischen lauter Integration und Tradition nicht, wogegen sie überhaupt ankämpfen wollen. Das macht einen Teil ihrer stolperigen Komik aus, wenn der Beschützerinstinkt mit den Männern kurz vor der Geburt durchgeht, aber keiner richtig weiß, wie man Hebamme spielt. Folgenschwer wird es jedoch erst, als man sich in den eigenen Reihen schlägt. Daß es dafür berechtigte Gründe geben kann, wird dem Regisseur vermutlich an keiner der Fronten Freunde bringen.

„Brothers in Trouble“. Regie: Udayan Prasad. Mit Om Puri, Angeline Bell, Pavan Malhotra u. a. GB/D/I 1995, 102 Min.