: Postjesuale Erkenntnisse
■ betr.: „Das Tor zu Gott“ (Press- Schlag), taz vom 7.9. 96
Die Affinität zur Theologie und zum Religiösen war dem Fußball schon immer immanent. Viele Fußballvereine sind, wie zum Beispiel der Ballsportverein Borussia aus Dortmund, im Umfeld der Kirche mit großer Unterstützung katholischer Immigranten aus Polen gegründet worden.
Auch vor Oliver Bierhoffs Zeiten haben sich Fußballer bemüht, Religiöses von sich zu geben. Bei der WM 1986 haben Herr Beckenbauer und anschließend einige Spieler wie zum Beispiel Herr Briegel ständig davon gesprochen, wie „der da oben“ sich zu uns verhalten hat. Nach dem Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Mexiko sprach Herr Beckenbauer davon, daß „der da oben auf unserer Seite gestanden hat“. Vor dem Endspiel haben alle Akteure an einem gemeinsamen Gottesdienst teilgenommen (laut Herrn Rehhagel im Co-Kommentar des TV), was dann doch nichts genützt hat, denn „der da oben war heute wohl gegen uns“ (Beckenbauer nach dem Spiel) [Vielleicht war's ja „die da oben“, die von soviel ge„ball“ter „Herr“lichkeit die Nase voll hatte. d.sin]
Ich vermutete eher, daß dem Kaiser 1986 gegeben wurde, was ihm gebührte. Mit den Kreuze schlagenden Spielern in heutiger Zeit haben wir zum Glück die richtige Richtung eingeschlagen. Es kommt nämlich theologisch betrachtet darauf an, daß wir unser Verhältnis zu Gott definieren und nicht umgekehrt erwarten, daß „der da oben“ sich zu uns verhält.
Daß hier für Theologen noch viel Arbeit wartet, ist klar. Die Sportart, die von ihrer Natur her auf die Gemeinde hin angelegt ist, muß auch ihre Rituale und Liturgien besser pflegen.
Wie verhält es sich eigentlich mit dem Latten-„Kreuz“? Eine Stelle des Tores an der zwei Balken im rechten Winkel aufeinandertreffen, im strengen Sinne aber kein Kreuz bilden. Ist dieser Begriff vielleicht entstanden, weil das Leiden eines vermeintlichen Torschützen an dieser Stelle des Tores am deutlichsten wird? Gleichzeitig aber der fällige Applaus die Motivation zur Auferstehung des Spielers und zu neuerlichen Torschußversuchen darstellt?
Auch die These des „elf-Freunde-müßt-ihr-sein“ wird meines Erachtens zu oberflächlich interpretiert. Meinte Herr Herberger nicht, daß er lieber auf den zwölften Spieler (das kann nur der Apostel Judas sein) verzichtet, wenn nur die elf übrigen fest zusammenstehen? Diese postjesuale Erkenntnis hat schon mancher Gemeinde den Meistertitel gebracht. Klaus Gatzel, Münster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen