: Tapetenwechsel mit links
■ „Ein Umzug ist ein Festzug“ oder: Tausendundein Abenteuer auf der Karawanenstraße ins neue Heim Von Lisa Schönemann
„So ein Umzug“, sagt meine Freundin, die es schon achtmal ausprobiert hat, „ist doch ein Klacks.“ Wer überhaupt eine Wohnung findet, könne sich schon glücklich schätzen. Der Rest fände sich quasi von allein. Und dennoch gleicht ein Tapetenwechsel eher einem Marathonlauf als einer Balletteinlage.
Zuallererst bittet jenes höhere Wesen, ohne das man ein solches Anliegen von vornherein vergessen könnte, zu einer Audienz. Zwecks Unterzeichnung des Mietvertrages. Aus internen Gründen findet der Termin nicht im Büro des Maklers statt, da der Herr nachmittags eine Stunde lang im Hotel Elysée zu schwimmen pflegt, bevor er dort seinen Tee einnimmt. Mit der Unterschrift wird ein kleiner Obolus fällig, der sicherstellen soll, daß der gute Mann auch fürderhin nicht darauf angewiesen sein wird, sich seinen five o'clock tea mittels Teebeutel im Kontor selbst zuzubereiten.
Ist die erste Hürde genommen, stellen sich prompt die nächsten Fragen. Wer hatte doch gleich unsere Umzugskartons ausgeliehen? Hängt Horsts Telefonnummer eigentlich noch an der Pinnwand im Flur? Oder war es Maren? Das wäre weniger schön. (Nach dem letzten Super-GAU in ihrer Frauen-WG hat Maren ihre Sachen bei einer Spedition eingelagert und sich nach Stuttgart abgesetzt.) Wir bestellen neue Kisten. Das wird das Beste sein. „Wenn man sie gleich nach der Übersiedlung zurückgibt, wird es billiger“, kündigt der Chef des auserwählten Umzugsunternehmens an. „Chef“ ist vielleicht nicht ganz die richtige Bezeichnung, handelt es sich doch um einen Alternativbetrieb. Ein richtiges Kollektiv, in dem sieben zottelige Zupacker auf dem Plenum darüber entscheiden, wie man die Tour plant. Wir nehmen jedenfalls schon mal die geräumigen Pappschachteln mit.
Bleibt die Sache mit der Wohnungsrenovierung. Wie uns der Makler prophezeit hat, ist die neue Bleibe in einem „Top-Zustand“. Das könne man bei der Höhe der Kaltmiete schließlich auch erwarten. „Letzte Details müssen freilich vom Mieter selbst geregelt werden“, vielleicht hat er damit auf den fleckigen, knallblauen Teppich angespielt, der dringend entsorgt werden muß. Ein Herd in der Küche wäre auf lange Sicht auch nicht schlecht. Die Heizung muß gewartet, ein Anschluß für die Waschmaschine montiert werden. Jemand muß das Etablissement neu streichen, damit man nicht dauernd daran erinnert wird, daß die Tochter der Vormieter offenbar stets einen Buntstift in der Hand hatte, wenn sie den Flur zu ihrem Kinderzimmer entlang lief.
Insgesamt werden etwa sechsundzwanzig Handwerkertermine fällig. „Unsinn“, schimpft meine Freundin bei der telefonischen Beratung. „Da rufst Du Mahmut an und fertig.“ Mahmut ist tatsächlich ein Universalgenie und stellt einen atemberaubenden Zeitplan auf. Bis zum Ersten soll alles fertig sein. Er verpflegt sich mit Oliven und Zitronenlimonade, mit der er den Kummer über unsere Farbauswahl herunterspült. Im Treppenhaus türmen sich die Wandfarben- und Lackeimer aus dem Naturwaren-Anti-Baumarkt, auf denen es von blauen Engeln nur so wimmelt. „Öko-Farbe“, flucht Mahmut und fügt hinzu: „Taugt nix“.
Egal, wir packen. Der kaputte Ventilator und andere unverzichtbare Dinge wie die letzten vier Jahrgänge einer amerikanischen Mediziner-Postille werden zum dritten Mal mit umziehen und einen Platz auf dem Dachboden bekommen. Für den Umzugsmorgen laden wir eine Handvoll verläßlicher Wegbegleiter zum Helfen ein. Die letzten Mohikaner im Freundeskreis, die noch immer nicht wissen, wie sich derartige Fronarbeiten durch einen vorgetäuschten Bandscheibenvorfall umgehen lassen.
Am Tag X knallt die Sonne schon in aller Frühe vom Himmel herunter. Wir haben mit dem Gemüsehändler im Erdgeschoß ausgehandelt, daß wir vor seinem Laden den Laster der Umzugsfirma einwinken dürfen. Und zwar zwischen sieben und acht Uhr. Klar, spätestens halb neun sind wir weg. Versprochen.
Tatsächlich sind alle Freunde gekommen. Sogar Juliane. Frisch gefönt, frisch gebügelt und auf Plateausohlen. Sie hat all unsere Kopfkissen hinuntergetragen. Das hat mich wirklich angerührt.
Bleibt noch nachzutragen, daß die Schluffis vom Umzugsunternehmen aufgrund innerbetrieblicher Schwierigkeiten erst abends um sieben Uhr anlandeten. Der Gemüsehändler drohte bei der Hitze zu kollabieren, als er unser Hab und Gut auf dem Bürgersteig vor seinen Auslagen entdeckte. Was sollten wir machen?
Gegen Mitternacht hockten wir in den neuen, nach Oreganoöl duftenden vier Wänden auf leeren Farbpötten, im Wasserkocher grinsten uns geplatzte Bockwürstchen an (der Herd war nicht rechtzeitig geliefert worden) und entzifferten zum ersten Mal den Werbespruch auf den kollektiven Pappschachteln: „Ein Umzug ist ein Festzug“.
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