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Angeekelt von sich selbst

■ Hamburg Oper: Premiere von Willy Deckers widersprüchlicher „Salome“-Inszenierung

Zwei graue Treppen führen auf der Bühne hinauf gegen eine graue Wand. Oben und unten miteinander verbunden klaffen sie in der Mitte auf zu einem Loch, in das niemand hineinsehen kann: das Verließ, der Keller, in dem die Leichen der Vergangenheit verborgen liegen. Aus diesem Spalt wird die betörende Stimme des Propheten Jochanaan zu hören sein, der um die Leichen weiß und der das Kommen des Reiches Christi verkündet.

Doch zunächst treten die Feiernden heraus auf die Stufen der Vor-Hölle: Die mit niedlichen Bärten beklebten Juden wippen rhythmisch beim Rezitieren der Gebetsbücher, die Nazarener stehen ordentlich steif und beobachten stumm das Geschehen, die Soldaten mit ihren silbernen Helmen warten auf Befehle. Streng und symmetrisch sind ihre Kostüme geschneidert, rattengrau wie ihre Umgebung.

Die Voraussetzungen, die Wolfgang Gussmann mit der Ausstattung der Salome geschaffen hat, sind inspirierend und in ihrer Symbolik wohl durchdacht. Doch insgesamt scheitert diese Operninszenierung an vielerlei Widersprüchen. Da ist zum einen der süßliche Klang aus der Partitur des Richard Strauss, den Dirigent Semyon Bychkov zwar mit einer strengen Interpretation zähmt, dem aber das stilisierte Geschehen auf der Bühne zuwiderläuft.

Dann ist da die strenge Choreographie der Schritte und Gesten, die einige Protagonisten durch ihr Spiel und ihre opulent geschmetterten Arien kontern. Der Anti-Held Jochanaan wandelt langbärtig und zottelhaarig, ein echter Jesus-Freak also, doch Bernd Weikl schreitet und schmettert am Regie-Konzept vorbei. Der Widersacher der Hofgesellschaft unterscheidet sich von ihr nur durch seine schwarze Kostümierung – Farbsymbolik sei Dank. Die eifersüchtige Königin Herodias (Hanna Schwarz) bleibt – trotz ihrer wichtigen Rolle – so blaß, wie Frauen nur sein dürfen.

Und wie steht es um Salome, die Hauptfigur? Keusch sollte sie sein laut Regie-Konzept, ein unverdorbenes Mädchen, aber doch trotziges Kind ihrer Verhältnisse. Wenn Karen Huffstodt jedoch die Bühne betritt, überstrahlt sie den Raum mit ihrer Erotik. Die geprüfte Salome-Interpretin ist eben eine reife Frau, darüber kann nichts hinwegtäuschen – auch nicht die Glatzen-Perücke, die das Symbol der Leidenschaft wohl plätten sollte.

So muß sie sich der Kunstgriffe des Regie-Konzeptes bedienen, muß die wunderschönen Melismen im Worte „Jochanaan“, dessen Kopf sie fordert, unterbrechen, um das Wort in zickig-pubertärem Geplärre zu Ende zu bringen. Wenn sie sich am Ende selbst das Messer in den Leib rammt, statt auf den Schlächter zu warten, so bringt diese Interpretation auch nichts Neues ans Licht. Ganz im Gegenteil: Die Ophelias modern zuhauf unter den Bergen der Weltliteratur.

Eine gelungene Interpretation erfuhr dagegen der Schleiertanz. Bei Willy Decker Inszenierungs-Debut an der Hamburg Oper wird nicht getanzt, sondern nur gejagt: Die bedrängte Tochter probt ihre Verführungskünste am lüsternen Stiefvater und zieht sich immer wieder zurück, angeekelt von sich selbst. Das Perverse an der Prostitution, am Sich-Weggeben an die Macht, wird in dieser Szene deutlich.

Gabriele Wittmann

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