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Büchereien

Heute war Herr Dr. Raffler wieder an mein' Kiosk und fragte, ob ich nicht wieder paar Illus von letzte Woche für sein Wartezimmer hab und für 'n halben Preis. An' gierigsten ist er ja immer auf „Stern“ und „Spiegel“, so daß ich manchmal sogar glaub, er liest die selber. Die Illus und Blätter mit Hamburger Beilage kannst ja vergessen: bloß Them' wie Hafenschlick oder Herr Wrocklage, wo du Depries von kriegst. Oder daß 7 Hamburger Bücherhall'n dichtgemacht werden soll'n, und den Rest woll'n se zusamm'legen oder verkleinern. Ist ja wohl traurig, aber, mal ehrlich: ICH mit mein' Kiosk hab da bloß Vorteile von. Denn lesen de Leute nämlich vermehrt leichte Sachen, also, was ich inne Angebotspalette hab. So'n Buch ist ja auch von sein' füsischen Gewicht her ne echte Gefahrnquelle. Erst neulich ist z. B. ein' Rentner bein Lesen von Günter Grass sein' „Weites Feld“ das schwere Teil ausse Hand gefall'n, weil er dabei eingeschlafen ist, und hat ihn sämtliche Zeh'n von' rechten Fuß zertrümmert.

Aber da hättest du den Dr. Raffler mal hör'n soll'n, als ich mit meine Argumente... jedenfalls er: „Nein, Bücher sind Kultur, weil sie das Denken und die Fantasie anregen... und was wüßten wir ohne Bücher von unseren Klassikern... von Goethe, Schiller, Heine...“ „Na und?“ hör ich da mitmal die Stimme von den Jungunternehmer Aschler, der grade wieder bein Durchforsten vonne Mopo-Kontaktseiten war. Hatte ich gar nicht geseh'n, wie er sich rangeschlichen hat mit seine luftgepolsterte Joggingschuhe. „Was soll das heißen?“ fragt Herr Dr. Raffler. Und der Aschler: „Ich finde das enorm positiv, wenn die Leute nicht mehr lesen, sondern auf den Datenautobahnen umherflitzen. Da nehmen sie doch Dienstleistungen in Anspruch, die unserer Wirtschaft einen enormen Schub geben. Mit all der Hardware und Software und CD-Roms. Und selbst, wenn die Verbraucher sich mit Video-Kassetten eindecken, bringt das, wirtschaftlich gesehen, viel mehr für unsere Gesellschaft als Bücher. Übrigens, den ,Spiegel' und ,Focus' gibt's längst im Online.“ Und grinst mich dabei so komisch an. Also, wenn DAS losgeht, daß du dir das, was ich hier in' Angebot hab, aussen Pezeh oder ausse Glotze schaufelst mit diesen bescheuerten Onlein, denn bin ich auch dafür, daß man sich wieder für das LESEN einsetzt! Sogar, wenn das um Bücher geht! Und bei de nächste Protestdemo gegen de Schließung vonne Hamburger Bücherhall'n ist Kalle aber VOLL DABEI!

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