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Ein Jahr auf die Insel

Eine Sonderform der Teilzeitbeschäftigung ist das Sabbatjahr: Sechs Jahre sparen, dann ein Jahr Urlaub. Zu Hause wartet danach ein sicherer Job  ■ Von Anja Dilk

Ein Jahr Pause im Berufsleben? Ein Jahr ohne Streß? Für Dag Dannehl war die Sache klar: Kaum war der Beschluß der Berliner Senatsverwaltung durch, beantragte er das Freijahr. Nach sechzehn Jahren Arbeit in einem Jugendfreizeitheim mit knapper Personaldecke endlich mal ausspannen. Der 44jährige Diplompädagoge möchte mehr Zeit für seinen Sohn, seine Hobbys und für Reisen haben. „Diese Aussicht“, sagt er, „ist schon jetzt für meine Arbeit ein enormer psychologischer Schub.“ Zumal er während des Freijahres finanziell nicht auf dem Trockenen sitzen wird. Das Gehalt läuft weiter, wenn auch reduziert. Das Sabbatjahr macht's möglich.

Was Lehrer in wenigen Bundesländern schon länger genießen, steht nun in Berlin und Bremen beispielsweise allen Staatsdienern offen: das Sabbatjahr. Ob Polizeiobermeister, Studienrätin oder Verwaltungsbeamter – fortan können die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Staatsfron für ein Jahr den Rücken kehren. Dabei stehen sie nicht etwa ohne Bezüge da. Denn das Sabbatjahr wird angespart. Sechs Jahre lang verzichtet der Beschäftigte auf ein Siebtel des Lohnes, obwohl er voll arbeitet. Die angesparte Differenz bekommt er im Freijahr als Gehalt weitergezahlt. Und: Urlaubsgeld, dreizehntes Monatsgehalt, Sozial- und Krankenversicherungen laufen weiter, während der Staatsdiener durch die Welt jettet. Wem Einkommenseinbußen über sieben Jahre zu viel sind, der kann den Sparkurs auf drei, vier, fünf oder sechs Jahre beschränken. Das Gehalt reduziert sich entsprechend stärker.

Modelle wie das Sabbatjahr liegen im Trend. „Der starre Achtstundentag über 30 Jahre Berufsleben, der noch in vielen Köpfen festsitzt, entspricht längst nicht mehr den Bedürfnissen der Arbeitswelt und der Beschäftigten“, sagt Sabine Kroker-Stille von der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen in Berlin. Teilzeitarbeit und eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten werden immer mehr zu den Maximen der Arbeitsmarktpolitik. Das Sabbatjahr als eine flexible und sozialverträgliche Variante der Teilzeitbeschäftigung fügt sich in solche arbeitsmarktpolitischen Überlegungen ein. Freilich vor allem für Besserverdienende, die sich ein geringeres Einkommen über mehrere Jahre leisten können. „Wir sehen in der Sabbatregelung auch ein Mittel, die Arbeit auf mehr Menschen zu verteilen“, sagt Kroker-Stille. Kritiker warnen allerdings davor, den Beschäftigungseffekt zu überschätzen. Schließlich geht es den Verwaltungen auch um Personaleinsparungen.

Ist das Sabbatjahr ein Modell der Zukunft? „Die Pflege und Regenerierung des Humankapitals werden immer wichtiger“, resümiert Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Denn um wettbewerbsfähig bleiben zu können, verlangt die Wirtschaft zunehmend qualifizierte, innovative Arbeitskräfte, die bereit sind, sich lebenslang fortzubilden. Das Sabbatjahr erlaubt zudem, Familien- und Berufsphasen flexibel zu kombinieren.“

Die Resonanz jedoch ist eher bescheiden: So nehmen in Berlin pro Jahr etwa 350 Lehrer Sabbaticals. Im öffentlichen Dienst in Bremen waren es bislang nur 55 Beschäftigte. Ähnlich sieht es in der freien Wirtschaft aus. „Noch nicht mal zwei Prozent unserer Mitarbeiter machen das“, sagt Pedro Schäffer vom Software-Unternehmen Condat in Berlin. „Viele haben offenbar Bedenken, ein halbes Jahr auszusetzen.“ Sei es, weil sie fürchten den Anschluß zu verpassen, weil sie auf die Regelmäßigkeit des Berufslebens nicht verzichten wollen oder ohnehin keine Möglichkeit sehen, gemeinsam mit dem Lebenspartner das Sabbatjahr zu gestalten. Die wenigsten wollen sich fortbilden. Das Privatleben steht obenan.

Freilich hat das Sabbatjahr nicht nur Vorteile. Es gibt keine Garantie, auf den alten Arbeitsplatz zurückzukommen. Sicher ist lediglich ein „adäquater Arbeitsplatz“. Und aus sozialversicherungsrechtlichen Bedenken wurde die Regelung, außer in Berlin, bisher nicht auf Angestellte ausgedehnt.

Das Sabbatjahr als Mittel gegen Burnout, zur Motivation ausgepowerter Mitarbeiter – davon können Unternehmen profitieren. Die befürchten jedoch, daß es Schwierigkeiten gibt, gleichwertigen Ersatz für die fehlenden Mitarbeiter zu finden. Noch hapert's an tragbaren Organisationsmodellen. Die gibt es bisher vor allem in skandinavischen Ländern.

Ein Jahr Sabbat. Und dann? Dörte Rauschenberger, seit neun Jahren Lehrerin in Berlin, reiste schon vor fünf Jahren mit Mann und Kindern per Wohnmobil durch Europa. Nordafrika, Bulgarien, Nordcap. „Der Wiedereinstieg war zwar hart“, sagt die 42jährige, „doch nach meiner Rückkehr habe ich noch lange von der Zeit gezehrt.“ Für Dörte Rauschenberger ist es deshalb keine Frage: Sie wird bald ihr nächstes Sabbatjahr beantragen.

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