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Shopping ohne Maß und Ziel

„Jedes Unternehmen geht Risiken ein“: Handball-Bundesliga startet als eine Art Europaliga, aber ohne große Überraschungen in die neue Saison  ■ Von Frank Ketterer

Berlin (taz) – Fürs erste bleibt alles beim alten. Meister Kiel gewinnt deutlich gegen Hameln, Wallau-Massenheim knapp gegen Pokalsieger Magdeburg und Nettelstedt weist Dormagen in die Schranken. Der erste Spieltag der Handball-Bundesliga verlief im großen und ganzen also so, wie er auch in der zurückliegenden Saison hätte verlaufen können. Was keineswegs als selbstverständlich galt. Denn die Bundesliga der neuen Runde hat nur noch wenig mit jener gemeinsam, die vor nur fünf Monaten zu Ende ging.

Ein arbeitsloser Fußballer hat das möglich gemacht, als er für sich und seine europäischen Berufskollegen das Recht erstritt, den Arbeitsplatz frei wählen zu dürfen, am besten dort, wo es die meiste Kohle gibt. Seitdem ist in vielen deutschen Sportverbänden kaum noch etwas so, wie es einmal war.

Und die Handball-Bundesliga hat sich tapfer eine Vorreiterrolle erkämpft. 58 Ausländer aus 15 Nationen verdienen in dieser Saison ihr Geld in der höchsten deutschen Spielklasse. Olympiasieger, Welt- und Europameister stehen sich auf dem Parkett der Bundesliga auf den Füßen. „Wir haben“, sagt Bernd Steinhauser, Präsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), „die stärkste Liga der Welt.“

Der Beweis solcher Worte fällt leicht. Großwallstadt will mit dem Franzosen Jackson Richardson, Welthandballer des Jahres 1995, raus aus dem Tal der Tränen; Wallau-Massenheim gönnte sich Richardsons Landsleute Volle und Wiltberger sowie den russischen Europameister Torgowanow; in Nettelstedt spielt nun der kroatische Olympiasieger Mikulic; aus Norwegen, Dänemark und Island sind die Nationalmannschaften fast komplett zugezogen. „Die besten Spieler der Welt spielen mittlerweile in der Bundesliga“, stellt Steinhauser fest und erhofft sich vom Aufmarsch der Stars einen Imagegewinn für seinen in Deutschland zuletzt doch arg gebeutelten Handballsport.

Doch nicht überall geschah das Shopping quer durch Europa mit jenem Maß und Ziel, das einerseits Attraktivität verspricht, andererseits aber noch die Identifikation mit der Mannschaft ermöglicht. Bei Aufsteiger Fredenbeck beispielsweise stehen in der Stammsieben ausschließlich Spieler aus dem Ausland; in Minden muß der polnische Trainer Zenon Lakomy zwei Schweden, zwei Kroaten, einen Isländer und einen Franzosen zu einer Mannschaft formen. Über solche Extremfälle werde noch zu reden sein, sagt Heinz Jacobsen, Vorsitzender des Ligaausschusses. Und Uwe Schwenker, Manager von Meister Kiel, zeigt zwar Verständnis dafür, daß mancher Verein sich mit spielstarken Ausländern überlädt, um konkurrenzfähig zu bleiben, will derlei im eigenen Verein allerdings nicht dulden: „Wir gehen der Philosophie nach, daß man die Mannschaft nicht mit Ausländern überfrachten sollte.“

Nicht überall waltet so viel Vernunft, und nicht überall steht der Etat auf so festen Beinen wie in Kiel. Zwar mußten die 16 Bundesligisten vor dieser Runde erstmals durch ein Lizenzierungsverfahren, doch bedeutet dies nicht zwangsläufig, daß alle Vereine auch wirklich in ihrem finanziellen Rahmen geblieben sind. „Wir wollten sicherstellen, daß die Runde auch durchgespielt werden kann“, sagt DHB-Präsident Steinhauser. Gerade dies aber scheint Heiner Brand, einer von nur noch sechs deutschen Bundesligatrainern (VfL Gummersbach), anzuzweifeln, wenn er vermutet, „daß sich die Abstiegsfrage in diesem Jahr von allein regelt“. Insgesamt addieren sich die offiziellen Jahresetats aller 16 Bundesligisten auf 43,9 Millionen Mark; auf über 50 Millionen Mark wird der tatsächliche Betrag von Insidern geschätzt. Im Vorjahr waren es noch 39,3 Millionen Mark. Kein Wunder, daß Steinhauser feststellt, „daß jedes Unternehmen“ – und dabei handelt es sich bei den Handball-Bundesligisten zweifelsohne – „gewisse Risiken eingeht“.

Mit seiner zuletzt zum Markenzeichen gewordenen Sorgenmiene verfolgt auch Arno Ehret das Treiben in der Bundesliga. Einerseits soll er als Bundestrainer und DHB-Sportdirektor dafür Sorge tragen, daß die deutschen Männer, anders als bei Olympia mit Platz sieben geschehen, wieder in die Weltspitze zurückkehren, andererseits können die hierfür erforderlichen Spieler in der Bundesliga kaum heranreifen. Vor allem in den von Ausländern blockierten Spielmacherpositionen sieht Ehret Probleme auf sich zukommen. „Kein U 21-Spieler wird da den Sprung in eine Bundesligamannschaft schaffen“, befürchtet er. In den Griff bekommen könnte man das Problem beispielsweise durch Doppelspielgenehmigungen. „Wir müssen jungen Spielern die Möglichkeit schaffen, in einer ihrer Spielstärke adäquaten Klasse Spielanteile zu kriegen“, sagt Ehret. Kooperationsmodelle zwischen Bundesliga, zweiter Liga und Regionalliga liegen in der Schublade. Die „wichtigsten konzeptionellen Grundlagen“, das glaubt Präsident Steinhauser, in Sachen Nachwuchsarbeit seien beim DHB jedenfalls gegeben. Bis diese Erfolge zeigen, können ja die Ausländer in der Bundesliga für Kurzweil sorgen.

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