: Bunter Ombudsmann
Früher eine Art ZDF-ZAK, heute hart am Quotenwind. Ein ungeliebtes Kind des ZDF feiert heute sein 25jähriges Jubiläum: „Kennzeichen D“ ■ Von Holger Kulick
„Dieser Stuhl hieß immer Paranoia“, scherzt Olaf Buhl und deutet auf seinen „Kennzeichen D“- Chefsessel. Seit einem Jahr leitet der schnurrbärtige Moderator den Politklassiker im ZDF-Programm, der in Mainz oft nur zähneknirschend geduldet wurde. So war besagte Paranoia stets die Furcht, nie länger als vielleicht ein Jahr eine Überlebensgarantie zu haben, weil das Magazin den Programmoberen immer zu links – sprich: zu kritisch war.
1971 gründete Hanns Werner Schwarze „Kennzeichen D“ als Politmagazin mit „typisch Deutschem“ aus Ost und West. Symbolisch der Anfang der ersten Sendung: Raser hüben wie drüben, mit Lichthupe drängelnd und vogelzeigend im Fahrstil vereint. Dann eine Kontroverse zur Deutschlandpolitik und anschließend Hans-Dieter Hüsch, lamentierend über deutsche Rechthaberei: „Jawohl, Herr Intendant, natürlich haben Sie recht!“ Da derart Hintersinniges im Programm auffiel, wurde „D“ ein Art ZDF-ZAK der siebziger Jahre.
Für Hanns Werner Schwarze war Ironie stets die effektivere „Medizin“ als Propaganda, und so gehörten zum festen Kundenstamm kritische Denker wie Wolf Biermann, Stefan Heym, Egon Bahr und Dieter Hildebrandt. Daneben gab es Sozial- und Umweltreportagen, Asylberichte, Vergangenheitsbewältigung, Umfragen und Nachhilfe über die DDR. „Den Nachbarn kritisieren kann nur, wer selbstkritisch bei sich anfängt“, lautete Schwarzes Devise, die dem Magazin laut SED-Analysen auch in der DDR Traumeinschaltquoten von 38 Prozent bescherte, so daß sich Honecker gezwungen sah, die Westsendung als „subversiv“ zu klassifizieren. Dabei wurden die Brücken von Ost nach West mit Zwischentönen statt rauher Polemik gebaut – zu einer Zeit, als kaum 20 Prozent der Westdeutschen Kontakte in die DDR pflegten und nur wenig Wissen übereinander bestand.
„D“ wollte Dolmetscher sein, Diplomat und Denkanstoßgeber zugleich – nach beiden Seiten. Doch im Laufe der Zeit machten ZDF-Gremien und die Regierung der DDR den Spielraum immer enger. Die SED erteilte kaum noch Drehgenehmigungen – außer zum Honeckerbesuch 1987. Erstmals durfte „D“ live aus dem Palast der Republik senden, das Publikum aber stellte die Stasi. Darüber schwieg die Redaktion höflich, um sich nicht noch den Rest der Sendemöglichkeiten zu verscherzen – umsonst. Doch nicht nur die SED, auch die Mainzelmänner zähmten das Ostwestprogramm: 1986 wurde der stellvertretende Redaktionsleiter Giselher Suhr zurückversetzt. Der Grund war eine Satire über die CSU als Gruselmonster.
In der Wendezeit schließlich geriet vorübergehend die Orientierung verloren, und mit Scheckbuchjournalismus zogen private Magazine an dem mittlerweile eher hausbackenen Magazin vorbei. „D“ blieb personell unterbesetzt, wurde lieblos in seinen Sendezeiten gekürzt, immer wieder ersatzlos wegen Sports gestrichen und fand als Wiederholung auch im Vormittagsprogramm nicht mehr statt. Aus der Prime time wurde es in die beginnende Nacht geschoben, womit im Osten prompt der Imagebonus schwand. „Wegen Asynchronität der Plazierung zu östlichen Freizeitgewohnheiten“, wie Fernsehforscher 1994 lapidar feststellten.
Vergeblich versuchte sich „D“ dem Fernseh-Mainstream zu widersetzen, setzte „solide Hausmannskost“ (Redaktionsleiter Joachim Jauer) gegen Fast food. Doch die Quote sank von vier Millionen (1992) auf zwei Millionen (1994) ZuschauerInnen. Die Konsequenz: Redaktionsleiter Joachim Jauer resignierte.
Mit seinem Nachfolger Olaf Buhl folgte ein Bruch. Der 43jährige Wiesbadener besaß weder „D“-Stallgeruch noch nennenswerte Osterfahrung. Hatte Schwarze noch Philosophie gehabt, hieß Buhls Doktrin zunächst Quote, weil er wußte, daß seine Chefs primär nur diese Botschaft verstehen. „Das innenpolitische Magazin“ möchte Buhl formen – erstes Rezept: statt vier sieben Stücke in der Sendung mit dem Risiko, sehr viel oberflächlicher zu werden. „Ombudsmann Ost“ will das Magazin weiterhin bleiben, aber in bunterer Mischung verpackt. Verbraucherthemen sollen als Köder dienen, zum Beispiel BSE und Amalgam. Studiogäste dagegen sind out, weil Köpfe „bremsen“. Im permanente Existenzkampf bleibt wenig Ruhe, neue Konzepte zu entwickeln. Osteuropa-Magazin? Hauptstadt-Magazin? Erneut ZDF-ZAK? Von allem ein wenig, um das Plansoll von inzwischen bescheidenen 1,9 Millionen weiterhin zu erfüllen.
Doch auch der neue Stil hat die Spitze des Hauses wieder wachsam gemacht. Das Thema „Plutoniumaffäre“ in „Kennzeichen D“? Prompt beschwerten sich CDU- Fernsehräte, was dies dort zu suchen habe. Bayerisches Abtreibungsrecht in „Kennzeichen D“? Sofort gab es Interventionen. „Wir gehen an die Grenze dessen, was im ZDF möglich ist“, postuliert Olaf Buhl, dessen Schwierigkeiten bereits bei der finanziellen Ausstattung beginnen. Trotzdem will er ein „Ruhestörer“ bleiben. Denn „Einschlafen können Sie woanders“ – mit diesem Satz wollte das Magazin werben. Vorwärts im unendlichen Kampf, um nicht selbst eingeschläfert zu werden.
Der Autor arbeitet regelmäßig als freier Autor für „Kennzeichen D“.
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