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Arrogant, teuer, unnütz

■ Handelskammer-Gegner organisiert gegen Zwangsmitgliedschaft / Kammer: „Wir sind offen“

Die Rebellen blasen zum Angriff gegen die altehrwürdige Bremer Handelskammer. Arrogant, undemokratisch, teuer, unnütz: So beschrieben die radikaleren Stimmen bei der Gründungsversammlung der Bremer Kammer-Verweigerer am Dienstagabend im Hotel Zur Post am Hauptbahnhof die Kammer. „Bei einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse lohnt sich für uns die Mitgliedschaft nicht“, rechnete ein kleiner Einzelhändler vor.

Die Rebellen-Organisation, die nach eigenen Angaben inzwischen 120 Mitstreiter hat, werde Musterklagen gegen die „moderne Wegelagerei“ der Zwangsbeiträge unterstützen, hieß es. Als agent provocateur war Helmut Plüschau, Ur-Vater der inzwischen in 23 Kammerbezirken mit 6700 Mitgliedern bundesweit agierenden deutschen Anti-Kammer-Bewegung, aus Wedel angereist. „Wir wollen die Kammern nicht abschaffen“, sagte der Unternehmer und SPD-Abgeordnete im Landtag von Schleswig-Holstein listig, „sondern nur die Zwangsmitgliedschaft“.

Sogar die spärlich erschienen Kammer-Verteidiger wie der AfB-Bürgerschaftsabgeordnete Lutz Peper räumten ein, daß „die Kammern ohne Pflichtmitgliedschaft zusammenbrechen“ würden. Ein Armutszeugnis für einen Laden mit 100 Angestellten und sieben Geschäftsführern, riefen die Kritiker. Auch er, als Mitglied des 40köpfigen Kammerplenums, wisse nicht, wozu „die Kammer all die vielen Leute“ brauche, gab Peper zu.

Plüschau sagte, es sei gegen den Datenschutz, wenn die Finanzämter den Kammern die persönlichen Einkommen von Selbständigen meldeten. Das ist nach der Beitragsreform von 1994 üblich, weil Kleinstunternehmer, die seitdem erstmals Kammer-Beiträge zahlen, neben dem Grundbeitrag von 75 Mark noch mit einer am Gewerbeertrag ausgerichteten Umlage zur Kasse gebeten werden.

Besonders wurmt die kleinen Unternehmer und Selbständigen, daß die Kammern im gleichen Atemzug größere Firmen entlastet haben. „Hier wird umverteilt von uns zu Hattig“, ruft ein gefrusteter Handelsvertreter und spielt an auf den Bremer Kammerpräses und Chef der Brauerei Beck, Josef Hattig. „Der Hattig ist Angestellter und kein richtiger Unternehmer“. Der zahle den Kammerbeitrag ja nicht aus eigener Tasche und könne so leicht von den wichtigen Aufgaben reden, die die Kammer für „die Wirtschaft“ erfülle.

„Sogar beim Bund kann man verweigern“, schallte es aus dem Publikum, nur bei der Kammer sei man Zwangsmitglied. „Nennen Sie mir einen stichhaltigen Punkt, an dem Sie für mich tätig werden“, las ein kleiner Fuhrunternhemer aus einem Brief vor, mit dem er seinen Widerspruch gegen die erhöhten Kammerbeiträge begründet hatte. Bisher habe er von der Kammer nichts gehört, aber auch seit 1994 keinen Beitrag gezahlt.

Nur Peper und sein Kammerplenums-Kollege Jürgen Roggemann brachten Contra-Töne in die Debatte. So versuchten sie, dem Ober-Rebellen Plüschau parteipolitische Motivation anzuhängen. Wenn jetzt auch noch die Grünen in Bonn die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft forderten, sei klar, woher der Wind wehe. Wer gegen die Kammer sei, sei auch gegen das duale System der Berufsausbildung, das die Kammern mitorganisieren, rief Roggemann. Wer außer der Handelskammer solle die Interessen der Wirtschaft vertreten, fragte ein Unternehmer. Kammer-Geschäftsführer Uwe Nullmeyer sagte gestern, die Kammer sehe die Rebellenbewegung mit Gelassenheit. Man müsse die Relation von 100 Verweigerern zu 26.000 Kammermitgliedern sehen. Auch daß sich nur drei Prozent der Mitglieder an den Kammerwahlen beteiligen, wertet Nullmeyer als Zeichen der Zufriedenheit. Die Kammer sei keineswegs ein „closed shop“. Um sich für die Plenumswahl aufstellen zu lassen, brauche ein kleiner Einzelhändler nur 100 Unterschriften von anderen Händlern. jof

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