: Der feine Unterschied
Im den fünf neuen Ländern dürfen die Fehler der alten Drogenpolitik nicht wiederholt werden ■ Von Christian Arns
Ganz egal, was man von Rauschmitteln hält: Spätestens, wenn ein Mensch an einer Überdosis oder an gestrecktem Stoff stirbt, hat jede Drogenpolitik versagt. In den neuen Bundesländern ist die Zahl der Abhängigen noch deutlich niedriger, erst recht die der Drogentoten. Doch das Bemühen ist groß, gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen.
In Sachsen-Anhalt zum Beispiel leben 3,4 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik, der Anteil an den bundesweit erfaßten Straftaten lag im vergangenen Jahr bei 4,8 Prozent. Der Anteil der Rauschgiftdelikte hingegen lag im Promillebereich – eine echte Drogenszene gibt es noch nicht. Die relativ geringe Zahl der Delikte hat sich 1995 gegenüber dem Vorjahr bereits fast verdoppelt. Das wird so weitergehen, wenn die Fehler des Westens konsequent wiederholt und neugierige Jugendliche knallharten Dealern ausgeliefert werden. In den neuen Bundesländern könnte die kontrollierte, aber erlaubte Abgabe von Cannabis noch zu einer Trennung der Märkte führen und die Suchtgefahr mindern.
Wer heute in den neuen Bundesländern poltert, die ohnehin perspektivlosen Kindern dürften nicht auch noch Drogen ausgeliefert werden, eine Liberalisierung dürfe es nicht geben, kann sich des Beifalls sicher sein. Kein Wunder, denn die Kenntnisse sind gering, die Angst hingegen groß. Um so verlogener ist dieses Vorgehen, denn längst ist klar, daß eine Trennung der Cannabisprodukte Marihuana und Haschisch von den sogenannten „harten Drogen“ besser geeignet ist, Jugendliche vor Abhängigkeit zu bewahren.
Das Beispiel der Niederlande, das von Kritikern immer nur in Form des verdreckten Bahnhofs von Amsterdam herangezogen wird, ist gut: Denn dort, nicht in Berlin oder Frankfurt, ist es gelungen, das Durchschnittsalter der Problemkonsumenten auf fast 35 Jahre zu steigern – dem Markt für harte Drogen bleibt der Nachwuchs aus. Doch wer diese an der Realität orientierte Politik auch im Osten vertritt, muß beachten, daß viele Probleme dort noch gar nicht auftreten. So haben sich auch im Westen echte Szenen vorrangig in Großstädten etabliert. In den neuen Bundesländern aber gibt es außer (Ost-)Berlin keine Stadt mit über 500.000 Einwohnern, im Westen ein Dutzend. Nur 13 Städte mit sechsstelliger Einwohnerzahl in den neuen Ländern stehen 70 Westgroßstädten gegenüber.
Anders als in der Bundesrepublik der späten sechziger Jahre trifft das Thema in den neuen Ländern auch nicht auf eine satte, zufriedene Gesellschaft, sondern auf existenzielle Sorgen. Verkürzt gesagt: Wo sich der arbeitslose Vater mit Bier vollaufen läßt, fehlt der Mutter die Kraft, sich ihrem Kind zuliebe mit den gänzlich verschiedenen Wirkungsweisen von Cannabis und Heroin auseinanderzusetzen.
Wichtig wäre es, sachlich zugunsten der Legalisierung weicher Drogen zu argumentieren. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat im März 1994 anerkannt, daß die Gefahren, die vom Alkoholmißbrauch für den einzelnen und die Gesellschaft ausgehen, „denen des Cannabiskonsums gleichkommen oder sie sogar übertreffen“. Damit wurde endlich und endgültig mit dem rund 25jährigen Vorurteil aufgeräumt, daß Cannabis eine Schrittmacherfunktion habe. Richtig ist, daß die meisten Abhängigen vor ihrer Sucht Hasch geraucht haben. Und davor haben sie Bier getrunken und Zigaretten geraucht, doch niemand zieht in Erwägung, Alkohol und Nikotin als Einstiegsdrogen zu verbieten. Wer wider besseren Wissens propagiert, Cannabis sei mit Heroin oder LSD vergleichbar, braucht sich nicht zu wundern, wenn Jugendliche ihnen glauben und nach den ersten illegalen „Tüten“ auch andere verbotene Stoffe testen. Der Umsteigeeffekt, so sah es auch das Verfassungsgericht, ist nicht auf die Rauschgewöhnung, sondern vielmehr auf die Einheitlichkeit des Drogenmarktes zurückzuführen.
Seit Jahrzehnten wird von Juristen und Sozialarbeitern, die beruflich mit Süchtigen zu tun haben, darauf hingewiesen, daß sich das Strafrecht als ineffektiv erwiesen hat. Sie betonen, daß Drogentote eben nicht die Folge aktueller Liberalisierungsdebatten sind, sondern der geltenden Prohibitionspolitik. Einig sind sich die meisten Praktiker, daß Sucht in erster Linie von der Persönlichkeit und dem Lebensumfeld abhängt, damit auch vom jeweiligen Lebensstil der Drogenszene. Und in diese gerät bald auch in Ostdeutschland zwangsläufig, wer einen Joint rauchen möchte. Diesem Wunsch ist aber mit dem Strafrecht nicht beizukommen, darüber braucht nicht mehr dikutiert zu werden.
Es geht also keineswegs um die Kapitulation des Rechtsstaats, sondern um dessen Fähigkeit, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Daß dafür viel innenpolitische Überzeugungsarbeit und vielleicht sogar die Kündigung internationaler Abkommen nötig ist, steht außer Frage. Aber das Ziel, Sucht zu vermeiden und Menschen vor dem Drogentod zu retten, sollte diese Mühe wert sein.
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