: Kein Platz für Mentalitäten
In der Mythenmühle: Die Ausstellung „Marianne und Germania. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten – eine Revue“ dient den Berliner Festspielen als kunsthistorischer Zweckbau und Politparcours zugleich ■ Von Christoph Danelzik-Brüggemann
Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Albertville 1992 balancierte ein Mädchen auf einer Säule und sang die Marseillaise. Als am vergangenen Wochenende Umberto Bossi die Republik Padanien ausrief, assistierte ihm beim Weiheakt ein Mädchen. Das weibliche Element in der politischen Symbolik hat eine lange Tradition. Auch bei den Berliner Festwochen bilden leblose Politladys, die beiden Nationalfiguren Marianne und Germania, den roten Faden.
Marianne ist eine Erfindung der Revolutionszeit, eine Kreuzung aus der „Francia“ des Ancien régime und der Verkörperung des Volkes. Germania avancierte zur Madonna des deutschen Nationalbewußtseins, als deutsche Publizisten und Künstler neue Formen der Staatsrepräsentation aus England und Frankreich übernahmen. In Frankreich diente Marianne als offizielles Symbol: Aus der Vielzahl an Büsten, Statuetten und Gemälden ragt der monumentale Gipsabdruck des Kopfes von François Rudes „Marseillaise“ vom Arc de Triomphe heraus. Aus der Nähe betrachtet, kippt das Pathos der Figur ins Groteske.
In Deutschland konnte Germania Teil des staatlichen Kultes erst in der Zeit der Reichsgründung werden. Hier dominieren rückwärtsgewandte politische Utopien und Todessehnsucht. Im goldenen Zeitalter Deutschlands, so wollen es die Maler, wachte Vater Rhein über die Weinlese; Odin persönlich fuhr aus den Wolken, um die gefallenen Germanen nach Walhalla zu geleiten. Zwischen Kriegsgedröhn und Zwergenromantik schiebt sich mit Fantin-Latours „Rheingold“ ein Gemälde, das über die historische Illustration hinaus sehenswert ist, weil es die kulturelle Wechselbeziehung beider Länder widerspiegelt.
Ausgerechnet Goethe und Schiller werden als Vermittler zwischen den Kulturen der Revolutionszeit angeführt. Jener amüsierte sich mit Dramoletten wie dem „Bürgergeneral“ über die Revolution und erwärmte sein Herz im übrigen mehr an Italien als an Frankreich. Schiller erhielt einen Ehrenbürgerbrief der Französischen Nationalversammlung, doch der Geehrte mochte sich nicht einbürgern lassen. Hier werden untaugliche Zeugen angeführt. Georg Forster dagegen fehlt. Er war einer der vielseitigsten und modernsten Gelehrten seiner Zeit: Ethnologe, Publizist und Politiker in der Mainzer Republik. Das Tagebuch seiner Niederrhein-Reise von 1790 ist die interessanteste der damaligen Publikationen zum Thema Frankreich–Deutschland. Forster betrieb über die Zeitgeschichte hinaus Inlands-Ethnographie; nebenbei „entdeckte“ er das mittelalterliche Rheinland mit seinen Burgen, Kirchen und dem Kölner Dom. So lieferte er der Romantik den Stoff, aus dem sie ihre Welt schuf.
Im 19. Jahrhundert wechseln sich Politik und Kultur als dominierende Kräfte im Verhältnis der Länder ab. Den Napoleonkult setzt die Ausstellung fort mit Reliquien wie seinem Feldbett und dem Sattel seines Krönungszuges. Gleichzeitig konterkarieren Widersprüche das Heldenbild: sein Caesaren-Pomp und die Hekatomben der napoleonischen Kriege. Zwischen 1806 und 1815 politisierten sich die Nationalisten in Deutschland. Sie meuterten gegen die von Frankreich gelenkten Fürsten und bereiteten mit ihrer Agitation die Befreiungskriege 1813–15 vor. In den Zwischenkriegsphasen fraternisierten die Intellektuellen. Die Brüder Humboldt, Tieck und andere reisten nach Paris, Madame de Staäl schrieb ein folgenreiches Buch „Über Deutschland“. Dabei ergeben sich durchaus Überraschungen, etwa wenn ein Gemälde Caspar David Friedrichs neben Frühwerken Arnold Böcklins hängt. Die schönsten Rhein-Veduten stammen von Victor Hugo.
Seit den späten 20er Jahren wurde Politik wieder zum öffentlichen Geschäft. Heine und Börne gingen ins Pariser Exil. Von dort nahmen sie Einfluß auf die intellektuellen Debatten in Deutschland. Die schleichende Politisierung scheinbar unschuldiger Themen wird als „Vermächtnis des Mittelalters“ gezeigt. Ab der Jahrhundertmitte war der ideologische Graben zwischen den Nationen kaum noch überwindbar.
Während Giacomo Meyerbeer in Paris und Berlin gefeiert wurde, entbrannte ein Liederkampf, der seinen Teil zur Kriegseuphorie von 1870 beitrug. Französische Pleinair-Malerei wurde von gewissen Kreisen abgelehnt, während Künstler wie Menzel, Liebermann oder Leibl den Nötigungsversuchen trotzten, nicht in Frankreich auszustellen. Auch Hugo von Tschudi, dessen Verdienste um die Aufnahme der modernen französischen Kunst in der zweiten Festwochenausstellung gewürdigt werden, mußte sich heftiger Anfeindungen seiner Sammlungspolitik erwehren (s. Bericht auf Seite 17).
Der von der Ausstellungsregie gewählte Rhythmus verdeutlicht, wie vielschichtig die Beziehungen sich darstellten. Hegel und Proudhon, deren Porträts einträchtig nebeneinander hängen, sind Teil eines Diskurses. Das militaristische Pathos und der Bilderkrieg sind jedoch spektakulärer als die Zeugnisse interkultureller Begegnungen in den Pariser Salons und in deutschen Konzerthäusern. Wie auch bei anderen historischen Ausstellungen wird der Gropius- Bau mit Bildern aufgerüstet.
Zwei Einschränkungen bestimmen die Revue. Mit rund 650 Exponaten wird die politische und militärische Geschichte mit dem intellektuellen Diskurs umfänglich verwoben: Napoleon trifft Wieland, hie ein Hermanns-, da ein Vercingetorix-Denkmal. Äußerst unglücklich ist es dabei, die Hälfte der etwa hundert gesondert ausgestellten Karikaturen als Reproduktionen zu zeigen. Fraglich bleibt aber auch die Basis des deutsch-französischen Verhältnisses: „Marianne und Germania“ zeigt Identitäten anstatt Mentalitäten. Hypertroph die politische Ästhetik – in welche kulturellen und sozialen Niederungen reicht sie hinab? Das Leben mit einer stets gefährlichen Staatsgrenze, Beeinflussungen des Alltags, eigensinnige Aufnahme von ästhetischen und agitatorischen Angeboten bleiben ebenso ausgespart wie das Fortleben von Errungenschaften der Französischen Revolution von Baden bis zum Rheinland. Aus dieser konzeptionellen resultiert die zeitliche Beschränkung, weshalb die Ausstellung mit der Reichsgründung endet, also vor dem Ersten Weltkrieg. In Berlin scheint Preußen die Erfüllung der Geschichte zu sein.
„Marianne und Germania“ bis 5. Januar 1997, Martin-Gropius-Bau, Berlin. Katalog: 48 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen