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Kampf bis zum letzten Skalp

„Bis auf den Schädelknochen gucken“: Der VfL Bochum kehrt beim 3:1 gegen den Hamburger SV zu fast vergessenen Tugenden zurück  ■ Aus Bochum Christoph Biermann

In letzter Not droschen die Verteidiger des VfL Bochum die Bälle aus dem Strafraum. Hoch und weit. Sie grätschten und klammerten. Torsten Kracht war mit durchgeblutetem Kopfverband in die Umkleidekabine gewankt. Die Kopfhaut von Dariusz Wosz wurde vom Stollen des Hamburger Markus Schupp so weit aufgerissen, daß „man bis auf den Schädelknochen gucken konnte“, erklärte VfL-Arzt Dr. Schubert. Während zur Behandlung des Bochumer Mannschaftskapitäns über Stadionlautsprecher ein Spezialist gesucht wurde, taumelte auch noch Zoran Mamic an den Spielfeldrand – mit einer dicken Beule am Kopf. Die Angriffe des Hamburger SV schwappten im Minutenrhythmus vors Tor von Uwe Gospodarek. Also schleppte Mamic sich aufs Spielfeld zurück, war das Auswechselkontingent doch schon ausgeschöpft und die 2:1-Führung dünn. Thomas Stickroth hielt trotz einer Knieverletzung bis zum Schluß durch. Waldoch zerrte an Bäron. Und Jack drosch den Ball einfach nur weg – so weit es ging.

Das Spiel des VfL gegen den Hamburger SV war wie eine Rückkehr in die Vergangenheit. Lothar Woelk und Frank Benatelli waren im Ruhrstadion erschienen, und als hätten die Repräsentanten der alten Bochumer Schule des Fußball-Malochens das Thema das Nachmittags vorgegeben, wurde mal wieder am Ball geschuftet. Sämtliche Kopftreffer wurden unverzagt weggesteckt. Wo in den letzten Monaten eher an der Verfeinerung der Fußballkunst gearbeitet worden war, krempelte die Mannschaft nach einer spielerisch guten Dreiviertelstunde schlichtweg die Ärmel hoch. Das war dann zwar nicht mehr schön anzusehen, aber nach dem Ausfall der von Bochums Trainer Klaus Toppmöller beharrlich als wichtigste Spieler eingestuften Wosz und Kracht auch nicht anders zu erwarten. Zumal der HSV sich in dieser Phase endlich richtig ins Zeug legte.

„Von der letzten halben Stunde abgesehen, haben wir versucht, es uns zu einfach zu machen“, meinte Hamburgs Trainer Felix Magath. Daß seine Mannschaft nach einem guten Start das Spiel zunächst aus der Hand gegeben hatte, lag auch an der offensiven Ausrichtung des VfL, der nach dem 1:5 in Bremen, so Toppmöller, „unbedingt gewinnen wollte“. Bochum lockte den Gegner weit in die eigene Hälfte und überfiel ihn dann mit Kontern. Dafür bot Toppmöller mit Donkov, Közle und Baluszynski drei nominelle Stürmer auf und spielte in der Abwehr zunächst mit einer Dreierkette. Der dadurch freigewordene Stickroth gab sich im defensiven Mittelfeld unbekümmert seinem Hang zu kleinen Zaubereien, übermütigen Tricks und präzisen Pässen in die Tiefe hin. Hinterher meinte er lakonisch: „Solche Dinge habe ich eben im Repertoire.“ Die Krönung seiner Leistung blieb ihm aber verwehrt, als ein unverschämter Heber aus 20 Metern nur an die Latte flog. Vielleicht wäre ihm und seinen Mannschaftskameraden damit auch erspart geblieben, daß das Publikum heute „den alten, den leidenschaftlichen VfL sehen konnte“, wie Toppmöller meinte.

Neben der Zeitreise in die VfL- Vergangenheit half auch, so hinterher Dariusz Wosz, „die Bank beim Sieg“. Gemeint war damit vor allem der Auftritt des für Wosz eingewechselten Kai Michalke, dessen Talent genauso unbestritten wie sein Durchbruch bisher ausgeblieben ist. Bei seinem Treffer zum 3:1-Endstand kurvte der 20jährige aber mit ähnlichen Haken und Schwüngen durch die Hamburger Abwehr, wie man es von Wosz kennt. Der Rest war Seligkeit. Und der Stadionsprecher vergaß nicht, den Tabellenstand der Bochumer zu verkünden: Sechster. Toppmöller versuchte Dämme gegen die Begeisterung zu bauen: „Wir stehen höher in der Tabelle, als der wirkliche Leistungsstand ist.“ Aber das wollte in dem Moment niemand hören.

Hamburger SV: Golz - Friis- Hansen - Fischer, Kovacevic - Schopp (62. Breitenreiter), Schupp, Hartmann, Spörl, Hollerbach - Ivanauskas (62. Salihamidzic), Bäron

Zuschauer: 24.135

Tore: 1:0 Baluszynski (17.), 2:0 Mamic (67.), 2:1 Breitenreiter (75.), 3:1 Michalke (90.)

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