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Wundersame Stimmenvermehrung in Bosnien

Die massiven Wahlfälschungen in der „Republika Srpska“ wie in der muslimisch-kroatischen Föderation stellen das Ergebnis in Frage. Die OSZE will aber erst mal nur neu auszählen  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Ein bißchen belemmert saßen sie vor der Pressekonferenz in Sarajevo: die Sprecher der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie mußten sich einem Pressecorps stellen, das es leid war, länger an der Nase herumgeführt zu werden. Und so kam Schritt für Schritt ans Tageslicht, was Kritiker ohnehin vermuteten: Bei den Wahlen in Bosnien wurden rund 300.000 Stimmen zuviel abgegeben.

Die wundersame Stimmenvermehrung vor allem in den muslimisch und serbisch kontrollierten Gebieten bedeuten nach unterschiedlichen Schätzungen eine stolze Wahlbeteiligung von 103 bis 110 Prozent. Und kleinlaut mußte OSZE-Direktor Jeff Fischer sogar eingestehen, daß nicht nur die Stimmen für das Parlament, sondern auch für den Präsidentschaftsrat neu ausgezählt werden müßten. Selbst die Bekanntgabe, daß Alija Izetbegović der künftige Präsident ist, könnte sich als voreilig erweisen. „Man kann einige Unterschiede zwischen dem, was ausgezählt wurde, und dem, was bestätigt wurde, erwarten“, erklärte Fischer.

Dabei hatte alles so schön angefangen. Noch am Wahlabend des 14. September hatte sich der US- Sonderbotschafter und Architekt des Dayton-Abkommens, Richard Holbrooke, vor die Kameras gestellt und der Wahl einen demokratischen Charakter bescheinigt. Und ins gleiche Horn stießen auch die Pressesprecher der OSZE. Die Wahlen seien, abgesehen von kleineren Zwischenfällen, ruhig und ordnungsgemäß verlaufen. Diese Aussagen überraschten viele der rund 1.100 OSZE-Beobachter, die je bis zu 10 Wahllokale zu kontrollieren hatten. Schon damals berichteten sie von vielen Fällen, wonach Wähler nicht abstimmen konnten, weil ihre Namen auf den Wahllisten nicht registriert waren.

Skandalös war der Versuch der OSZE, von Beginn an die Dinge schönzureden. Die Vorsitzende des Ausschusses für Exjugoslawien im Europäischen Parlament, Doris Pack, widersprach schon am Tag nach den Wahlen den optimistischen Einschätzungen Holbrookes. Eine Delegation von Abgeordneten des Europaparlaments hatte zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Wahlkampf des serbischen Extremisten und Kriminellen Arkan mit 300.000 Mark von der EU finanziert worden war. Wahllokale für muslimische und kroatische Vertriebene in der serbischen Zone waren von lokaler Polizei außerhalb der Gemeinden aufgebaut worden – etwa in einer zerstörten Moschee oder einem ehemaligen Folterlager. Die Berichte von OSZE-Mitarbeitern, daß es unmöglich gewesen sei, nach Schließung der Wahllokale die Wahlurnen unter internationale Aufsicht zu stellen, wies auf einen weiteren schweren Fehler in der Organisation hin. Die Urnen blieben in den Händen der lokalen Polizei. Der vielleicht folgenschwerste Fehler.

Bei der Auszählung der Stimmen für den Präsidentschaftsrat machte die Beobachter die hohe Wahlbeteiligung stutzig. Es sollten nämlich 1.033.345 Stimmen in der „Republika Srpska“ abgegeben worden sein, auch die Stimmenzahl in der Föderation erschien zu hoch. Auf einer Versammlung von internationalen Journalisten am 18. September wurden massive Zweifel an der Höhe der Wahlbeteiligung geäußert. Und in einem Papier der International Crisis Group wurde nachgewiesen, daß die Wahlbeteiligung nach OSZE- Angaben im muslimisch kontrollierten Teil Bosniens bei 103,9 Prozent, im serbisch kontrollierten bei 98,5 Prozent gelegen haben mußte. Lediglich bei den kroatischen Wählern lag sie mit 79,3 Prozent in einem realistischen Bereich. Angesichts dieser Entwicklung trat eine OSZE-Sprecherin am Donnerstag vergangener Woche von ihrem Amt zurück. Die Organisation weicht vor der Kritik zurück.

Wenn man die Anzahl der Wahlberechtigten wie die OSZE bei 2,9 Millionen ansetzt und die im Ausland nicht registrierten Wähler abzieht, verbleiben insgesamt 2.430.000 Wähler, die ihre Stimme abgegeben haben sollen. Dies käme einer Wahlbeteiligung von 91,4 Prozent in ganz Bosnien gleich, erklären Kritiker. Und das sei nach all den Wahlbehinderungen völlig unmöglich. So blieb den Verantwortlichen der OSZE am Samstag nichts übrig, als den Kanossagang anzutreten und erst einmal völlig neu auszuzählen. Was mit den 300.000 überzähligen Stimmen geschieht, ist noch unklar.

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