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■ Politik ist eine Sache für ProfisLieber ein Andreotti

Wenn ich heute all die Gutmenschen in der Politik sehe, wird mir übel. Nicht aus moralischer Verzweiflung, sondern weil ich sehe, wohin das führen kann. Von Politik haben sie alle keine Ahnung, von internationalen Mechanismen ebensowenig. Da für ihren Wahlerfolg ausreichte, daß sie mit frischgewaschenem, unschuldigen Gesicht und sauberen Pfoten auftraten, meinen sie auch, daß man damit so schwierige Verhandlungen wie die über Schutzzölle mit den USA und die über Dumpingpreise der Japaner durchführen könnte, und daß man damit sogar Kriege verhindern könnte. Ganz abgesehen von den sozialen Gemeinheiten, die in Zeiten der Krise von jedem Politiker verlangt werden.

Sieht man einmal vom französischen Staatspräsidenten Chirac ab, der wirklich ein Vollblutpolitiker ohne jeden Skrupel ist, und von Deutschlands Aussitzwunder Kohl, der das Glück eines unabhängig vom Kanzler fleißigen und ehrgeizigen Volkes hat, dann haben wir heute fast überall lauter brave Leute in den Regierungen, die sich von jedem über den Tisch ziehen lassen. Hernach machen sie ein betrübtes Gesicht, weil die Welt so schlecht ist. Natürlich werden sie, wenn ihnen klar wird, daß ihr Gutmenschentum nirgendwo belohnt wird, auch böse. Aber da sie das Verhaltensrepertoire von Meisterintriganten nicht gelernt haben, werden sie dann eben nur böse und hinterhältig, nicht etwa effizient.

Das sind mit, ehrlich gesagt, Politiker alten Schlages schon lieber. Bei denen weiß ich wenigstens, was und wer sie sind, was sie können und bis wohin ich ihnen trauen kann. Deutschlands früherer Außenminister Genscher sah man die Schlitzohrigkeit von weitem an und hätte wohl beim berühmten Gebrauchtwagenkauf höllisch aufgepaßt. Aber er verstand sein Geschäft, und Deutschland fuhr sehr gut dabei. Für mich war Genscher der Architekt der Wiedervereinigung, nicht der zögerliche Kohl.

Italiens Andreotti mag ein Charakterschwein und ein Mafiafreund sein. Aber als Außenpolitiker war er unschlagbar, zog die Amerikaner – als Außenminister wie als Ministerpräsident – ebenso über den Tisch wie die Russen, trieb's unter der Hand gleichzeitig mit den Arabern und den Israelis und schuf so für Italien Freiräume, von denen andere Länder nur träumen konnten. Da sehe man nun die derzeitigen Außenamtsverwalter an, Deutschlands Kinkel oder Italiens Dini etwa: alles saubere, aufrechte, solide Kerle, ohne Dreck am Stecken, aber von einer Naivität, daß einem die Tränen kommen. Conte Nicola

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