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Tony Blair hat Labour die linken Flausen ausgetrieben

■ Englands Premier-Aspirant reformiert rücksichtslos, aber immer lächelnd

Sein Sohn wollte schon als Kind immer im Mittelpunkt stehen, sagt Leo Blair. Auf der Schiffsreise nach Australien habe der Knirps im Speisesaal gesungen und getanzt, bis ihm die Windel heruntergerutscht sei. Leo Blair ist stolz auf seinen Sohn – so stolz, daß er, der Zeit seines Lebens aktiver Tory war, vor zwei Jahren in die britische Labour Party eingetreten ist.

Freilich hatte Filius Tony dafür die Vorarbeit geleistet. Er hat die Partei auf Vordermann gebracht und ihr die linken Flausen ausgetrieben. Inzwischen beruft sich der Labour-Chef auf Margaret Thatcher und hält mit seiner Bewunderung für die Eiserne Lady nicht hinter dem Berg. Wenn er von „moralischen Werten, individueller Verantwortung und Selbstdisziplin“ spricht, schwingt die Stimme der Gemüsehändlerstochter aus Finchley mit. Selbst der Verband der britischen Industrie (CBI) ist seinem jugendlichen Charme erlegen. Er könne keinen Unterschied zwischen Tony Blair und der Tory- Regierung mehr feststellen, sagte CBI-Präsident Bryan Nicholson und meinte es als Kompliment. Blair hatte die erogenen Zonen der Industriellen aufgespürt und sie mit Schlagworten gestreichelt: langfristige Investitionen, solide Steuerpolitik, Ausbau der Infrastrukturen nach Absprache mit der Industrie. Die Wirtschaftsbosse schnurrten vor Wohlbehagen und verabschiedeten ihren neuen Darling mit stehenden Ovationen.

Der 43jährige Blair sitzt seit 1983 im Unterhaus. Als Labour- Chef John Smith vor drei Jahren starb, machte sich Nachfolger Blair sogleich ans sozialdemokratische Werk – immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Er sei Christ, betont Blair immer wieder, als ob das ein Garant für gute Taten wäre. Fragt man ihn nach Inhalten, hält er sich bedeckt. Details werde er nach den Wahlen bekanntgeben, hört man dann.

Er wird diese Wahlen wohl gewinnen, daran zweifelt kaum jemand – oder genauer: Die Tories werden die Wahlen verlieren, denn ihre Wahlkampftaktik ist ein Eigentor. Auf ihren Wahlplakaten haben sie einem Blair-Foto ein Paar teuflische Augen verpaßt, doch die Angstmache funktioniert nicht. Blair ist eher das Rotkäppchen als der böse Wolf, auch wenn man seinen alten Spitznamen „Bambi“ nicht mehr so häufig hört, seitdem er seine „Modernisierungspläne“ in der eigenen Partei rücksichtslos, aber lächelnd durchgesetzt hat.

Bei seiner Parteitagsrede im vergangenen Jahr fielen 29mal die Worte „junges Land“ und „New Labour“. Blair, der sich schon als Student intensiv mit den schottischen Moraltheologen beschäftigt hat, erweckt den Eindruck, er sei ein unpolitischer Politiker der Moral. Der Populismus funktioniert: Die Thatcher-Fans der achtziger Jahre werden die Blair-WählerInnen des nächsten Jahres sein. Die Labour-Parteitage, früher immer für einen handfesten Krach gut, sind unter Blair zu inhaltsleeren Propagandashows im US-amerikanischen Stil geworden. Bei der Neuauflage in der nächsten Woche, wenn sich der gute Mensch von Westminster abermals in Szene setzt, wird das wieder zu beobachten sein. Und diesmal werden ihm die Windeln nicht herunterrutschen. Ralf Sotscheck, Dublin

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