Polizei: Schlag gegen die Zigarettenmafia

■ Polizei nimmt sieben Vietnamesen, darunter den mutmaßlichen Chef einer „Schmugglerbande“, fest

Vietnamesen müssen keine Angst mehr vor einem Bandenchef haben; der Nachschub an illegalen Zigaretten ist ins Stocken geraten; von 1.200 Handelsplätzen werden derzeit nur einhundert genutzt; die Preise haben sich verteuert. Das ist das Fazit einer Pressekonferenz, auf der Polizeipräsident Hagen Saberschinsky (CDU) „einen entscheidenden Schlag gegen die organisierte vietnamesische Gewaltkriminalität“ präsentierte.

Saberschinsky teilte gestern mit, daß in Zusammenarbeit mit verschiedenen Ermittlungsbehörden am Montag der „unbestrittene Bandenchef“ und zwei weitere Mitglieder der „Ngoc-Thien“- Bande, der offenbar bedeutendsten Zigarettenschmugglerbande, festgenommen wurden. Der Polizeipräsident geht davon aus, daß die Bande, die für einen sechsfachen Mord im Mai diesen Jahres in Marzahn und eine Vielzahl von Tötungsdelikten in Berlin und Sachsen verantwortlich sei, nunmehr „faktisch zerschlagen ist“.

Der 25jährige Bandenführer Le Duy Bao (Spitzname „Ngoc- Thien“, zu deutsch: „Ngoc, der Barmherzige“), seine ebenfalls mit Haftbefehl gesuchte 15jährige Freundin sowie drei weitere Vietnamesen im Alter von 15, 24 und 28 Jahren wurden in einer Wohnung in Tiergarten festgenommen. Der Bandenchef und seine Freundin stehen im dringenden Tatverdacht, im März diesen Jahres zwei Vietnamesen im Wedding ermordet zu haben. Der ebenfalls festgenommene mutmaßliche 24jährige Stellvertreter des Bandenchefs soll an der Ermordung eines Vietnamesen im Mai diesen Jahres südlich von Berlin beteiligt gewesen sein. In einer Wohnung in Neukölln wurden, ebenfalls am Montag, zwei weitere Vietnamesen festgenommen. Bei den Durchsuchungen wurden zahlreiche Schriftstücke sichergestellt, die derzeit ausgewertet werden.

Seit 1992 wurden 39 Vietnamesen in Berlin ermordet. Allein in diesem Jahr waren es 19. Nach Polizeiangaben gelten 15 davon als aufgeklärt. Von den etwa 30.000 in Berlin lebenden Vietnamesen ist nach Angaben von Saberschinsky „etwa ein Drittel in den Zigarettenhandel eingebunden“.

Den Festnahmeerfolgen der Polizei stehen äußerst magere Zahlen der Staatsanwaltschaft gegenüber. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Wiedeberg wurden seit 1993 nur drei Vietnamesen wegen versuchten oder vollendeten Totschlags verurteilt. Oftmals ist eine Verurteilung nicht möglich, weil Zeugen vor Gericht „umkippen“ oder bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung ausgewiesen werden. Nach Angaben von Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge könne die Ausländerbehörde auf Bitten der Gerichte zwar eine Ausweisung verschieben. „Ob die dann aber zur Hauptverhandlung erscheinen“, so Karge, „haben wir nicht mehr in der Hand.“

Saberschinsky rief gestern alle vietnamesischen Staatsangehörigen, „die über Wissen über die Zigarettenmafia verfügen“, auf, dies der Polizei mitzuteilen. Es bestehe die Gefahr neuer Bandenbildungen. Derzeit arbeite man an der Zerschlagung der zweiten in Berlin dominierenden Gruppe, der „Quang Binh“-Bande. Einige mutmaßliche Mitglieder seien bereits festgenommen worden. „Wir sind da wie die Terrier“, sagte Saberschinsky. Barbara Bollwahn