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Mehr Spielraum für die Steueroase

■ Diepgen hat sich gegen eine Erhöhung der Gewerbesteuer ausgesprochen. Berlin hat den geringsten Gewerbesteuersatz aller deutschen Großstädte

Flüchten Berliner Unternehmen ins Umland, wenn die Gewerbesteuer erhöht wird? Der Experte vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW), Dieter Vesper, hält diese Sorge für unbegründet. Im Umland seien die Sätze teilweise höher als in Berlin. Der durchschnittliche Satz der brandenburgischen Städte liegt bei 370 Prozent. Mit dem Hebesatz wird die von den Unternehmen abzuführende Steuersumme errechnet.

Vesper verweist auf Beispiele anderer Regionen. In Nordrhein- Westfalen zum Beispiel ist der durchschnittliche Hebesatz aller Städte 442 Prozent. In den Landkreisen dagegen nur 350. Warum die Firmen dennoch in den Städten blieben, liege an der guten Infrastruktur und dem großen kulturellen Angebot. „Dafür ist die Steuer eine Art Gebühr. Allerdings“, so Vesper weiter, „ist es in Zeiten der Rezession eben nicht einfach, die Steuern anzuheben.“

In der Koalition gibt es seit Wochen Streit um die Höhe des Gewerbesteuersatzes. Wegen der katastrophalen Haushaltslage der Stadt hatte Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD) vergangenes Wochenende die Erhöhung des momentanen Satzes von 340 auf 390 Prozent bereits 1997 gefordert. Pro Jahr brächte das Mehreinnahmen von 350 Millionen Mark ein, schätzt die bündnisgrüne Finanzpolitikerin Michaele Schreyer. Die CDU will aber an der Koalitionsvereinbarung festhalten. Sie sieht eine Hebesatzerhöhung erst ab 1998 vor. Diepgen sagte vergangene Woche auf dem Berliner Unternehmertag, eine vorzeitige Erhöhung der Gewerbesteuer komme nicht in Frage. Er erklärte, man müsse der Wirtschaft mehr Luft zum Atmen geben.

Dabei hat Berlin den geringsten Hebesatz aller deutschen Großstädte. In München und Hamburg liegen die Sätze weit über 400, in Frankfurt sogar bei 515. „Von dort wandern schließlich auch nicht sämtliche Unternehmen ab, im Gegenteil“, so Vesper vom DIW. Professor Altvater von der Freien Universität sieht das ähnlich: „Die Gewerbesteuer ist nur ein Kostenfaktor unter vielen. Das Abwandern kann teurer sein als die Steuerlast. Außerdem: je höher die Steuereinnahmen der Stadt, desto besser die Infrastruktur und damit die Standortqualität. Das senkt dann wiederum andere Kosten der Unternehmen.“

Die Gewerbesteuer ist die größte kommunale Steuer. Über den Hebesatz kann die Kommune Einfluß auf ihre Steuereinnahmen nehmen. 1995 nahm Berlin 1,4 Milliarden Mark Gewerbesteuer ein, das waren knapp zehn Prozent der gesamten Steuereinnahmen der Stadt. Die umstrittene Steuer setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Der kleinere Teil – etwa ein Sechstel des gesamten Steueraufkommens – ist die Gewerbekapitalsteuer. Weil sie überhaupt nicht die aktuelle Ertragslage des Unternehmens berücksichtigt, wurde deren Abschaffung in der Bundesrepublik zum nächsten Jahr beschlossen.

Der weitaus größere Teil ist die Steuer auf den Gewinn. 16,5 Prozent ihres ausgewiesenen Gewinnes müssen die Berliner Unternehmen als Gewinnsteuer abführen. Den Großteil der Gewerbesteuer zahlen die Großfirmen. „Die Steuer ist zur Großbetriebssteuer mutiert. Über die Hälfte aller Unternehmen, zumeist die Kleinunternehmen, zahlen wegen den Freibeträgen gar keine Steuer“, erklärt Vesper. Aber die Erweiterung der Besteuerungsbasis auf Freiberufler und die Senkung der Freibeträge ist nicht Sache der Kommune. Sie kann lediglich über die Höhe des Hebesatzes entscheiden. Vorausgesetzt, sie traut sich. Tim Köhler

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