: Mehrere Kühe Von Susanne Fischer
Falls einer eine Reise tut, belehrt er hinterher seine Opfer („Und die Menschen da unten sind so offen, sag' ich dir!“). Wenn eine aber zuviel durch die Gegend rast, z.B. während einer Woche von einer längeren Reise zurückkehrt, zwei Kurztrips unternimmt und zu einer längeren Reise aufbricht, kann sie nichts erzählen, weil sie keine Zeit dafür hat. Dafür kann sie splitternackt hinter dem Panoramafenster stehen, wenn vorn der Vermieter mit seiner Skatrunde vorbeipilgert, weil sie vergaß, ihr Duschgel aus der Reisetasche mit ins Badezimmer zu nehmen. Sie ist ebenfalls in der Lage, das Hohngelächter der Reinigungsbesitzerin („In zwei Tagen?!“) im Geiste stets aufs neue zu hören oder auch das Rascheln der Geldscheine, die hier gegen ihren Willen in einen Expreßzuschlag verzaubert wurden, und zwar ohne Wechselgeld.
Denn das Wechselgeld wäre ja zu gebrauchen gewesen für den Parkscheinautomaten, der so nur ein Ticket für anderthalb Stunden herausrückte – das würde aber ganz bestimmt reichen. Das Hohngelächter der Friseurin („Unangemeldet, jetzt gleich?!“) gab der Politesse das Signal, exakt die zehn Minuten zwischen Parkscheinablauf und Rückkehr der Fahrerin zu nutzen, um einen häßlichen Kassenbon an den Scheibenwischer anzuheften, der noch dazu in einem sicheren Papiertütchen vor gnädigem Davonfliegen geschützt wurde. Auf dem Tütchen war ein grauslicher, verfetteter preußischer Polizist von zirka 1890 zu sehen, der scherzhaft mit dem Degen drohte und mahnte: „Auch in unserer Stadt gilt die Straßenverkehrsordnung!“ So gab es für die Strafgebühr auch eine Gegenleistung, nämlich städtische Belehrungswut à la „Wir müssen leider draußen bleiben.“ Ja, Frau Fischer, wir müssen leider Strafe zahlen...
Aus schierer Zeitnot, möglicherweise auch wegen eines unkontrollierbaren Temperamentanfalls, hießen wir die Gurke von einem Mistauto rückwärts aus der Parklücke springen, so daß vorn der Spoiler oder Toaster oder wie das Ding heißt, hart auf den Kantstein schlug und umstehende Taxifahrer Gesichter zogen, die wir heute bereits an beinahe allen Gewerbetreibenden der Stadt beobachten durften: verdienstlustiges Grinsen. Doch zu früh gefreut, Kutscher! Natürlich fuhr die Gurke uns noch bis ins Büro.
Wir betrachteten flüchtig unsere Arbeitsstätte, in der unsere letzten Scheine in die Verspätungskasse und die Fluchen-verboten- Kasse entsorgt wurden. Über den Gesichtsausdruck der Kollegen verrate ich hier nichts, das wird zu teuer. Endlich erwartete uns eine Oase der Ruhe, in der nur drei Telefone auf einmal klingelten (mit einem Schrillfaktor, der mir die mühsam erkämpften Einkäufe aus der Hand schlug), und nur ein Anruf davon war für die gehetzte Reisende. Man trug mir, der Verarmten und Verspäteten, auf, nach dem Büro (und dem Ladenschluß) noch Milch zu holen. Gern würde ich darüber berichten, wie ich auf dem Bauernhof am Rande der Stadt mit eigenen Händen die Kuh um die Milch betrog. Leider reicht dafür die Zeit nicht, und außerdem wurde ich vorher nervös, denn die Kuh begann zu grinsen, sobald ich um die Weidenecke bog. Ich habe auch gar keinen Parkplatz gefunden unter den Fittichen der Straßenverkehrsordnung. So kommt es, daß ich nie etwas zu erzählen habe.
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