: Aufbruch in eine neue Zeit Von Klaudia Brunst
Erst konnten wir es gar nicht glauben. Obwohl es natürlich, bei Licht betrachtet, schon seit längerem im Raume stand. Aber als der Brief unseres Vermieters dann tatsächlich unter dem Türschlitz hervorlugte, beugten wir uns doch ungläubig, ja fast ängstlich hinunter. Wir bekommen Zentralheizung! Und bei Frau Huber, der alten Dame aus dem vierten Stock, würden sie anfangen.
„Daß ich das noch erleben darf!“ flüsterte sie wenig später auf dem Treppenabsatz. „Dann muß ich ja vielleicht doch nicht ins Altenstift?“ Die Tränen der Erleichterung, die ihr in den Augen standen, waren noch nicht ganz getrocknet, da standen die Handwerker schon auf ihrer Matte. „Ohne sich die Füße abzuputzen“, wie Frau Huber mit erhobenem Zeigefinger berichtete. „Wenn Sie mich fragen“, meinte sie mit einer kritisch hochgezogenen Augenbraue, „so eine Zentralheizung macht auch ganz schön viel Dreck.“ – „Alles besser als dieser fiese, klebrige Aschestaub“, versuchten wir sie zu trösten und erinnerten sie sanft an die Mühen der fossilen Feuerung, mit der wir uns – so der Arbeitsplan unseres Vermieters – noch eine Saison lang würden herumschlagen müssen.
Die Tage vergingen und wurden kürzer, weil nun ab 6.30 Uhr über unseren Köpfen gestemmt und gehämmert wurde. Die Monteure ächzten an unserem Plateau vorbei, wuchteten riesige Heizkörper in Frau Hubers Wohnung und riefen uns, während wir das Treiben durch den Türspion beobachteten, ein drohendes „Kieken Se nich so, zu Sie komm wa och noch!“ zu. „Da sei Gott vor!“ flüsterte meine Freundin, „verschwitzte Männerachseln in unserer Wohnung. Vielleicht sollten wir doch auf den Komfortzuwachs verzichten?“ – „Zumal so ein Heizkörper doch offenbar noch schwerer als eine Kohlenkiepe ist“, wie unsere Nachbarin süffisant ergänzte.
Als die Monteure am letzten Freitag vorerst abzogen, hatten sie ganze Arbeit geleistet. Das Treppenhaus sah aus, als wäre es seit dem ersten Friedenstag nicht mehr geputzt worden, und Frau Huber hatte ihre liebe Not, die Mörtelreste von ihrem Gründerzeitvertiko zu kratzen. Trotzdem war sie bester Laune. Das alles erinnere sie irgendwie an die Berliner Nachkriegsjahre. „Was haben wir Frauen da nicht alles weggeschafft!“ Mit einem gewissen Bauherrenstolz berichtete sie uns, ihr Kopftuch keck im Trümmerfrauenlook gebunden, von den Tücken der Heizungsmontage, ließ diverse klimatechnische Fachausdrücke einfließen – und machte uns damit deutlich, daß sie nun irgendwie nicht mehr so ganz zu uns gehöre.
Am letzten Samstag lud sie uns dann alle zu einer feierlichen Baubegehung ein. Mit einem Gläschen Sekt stießen wir auf die neue Zeit an. Dann trabten wir staunend durch Frau Hubers Wohnung. „Wenden Sie Ihren Blick jetzt bitte nach dort oben in die Nische“, bat sie uns, „dort läuft die Versorgungsleitung. Und nun gehen wir weiter ins Wohnzimmer. Hier sehen Sie die Buderus-Komfortheizkörper...“ – „Und wieso sind die noch kalt?“ fragte unsere Nachbarin und zog ihre Hand erschrocken von den riesigen Blechköpern zurück. „Aber meine Damen!“ gab Frau Huber entrüstet zurück. „Das ist ja alles ganz schön mit der neuen Zeit. Aber deshalb gleich auf die heimelige Wärme eines Kachelofens verzichten?“
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