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Bahn muß für Verspätung zahlen

Französische Pendler verklagten SNCF mit Erfolg. Bisher gab es nur Entschädigungen für unpünktliche Fernzüge. Die Bahnkunden in Deutschland sind noch schlechter dran  ■ Aus Paris Kathrin Hondl

Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF hat eine entscheidende juristische Niederlage erlitten. Die erste Kammer des Pariser Berufungsgerichts bestätigte am Freitag ein Urteil, wonach das staatliche Unternehmen für Verspätungen von Zügen Geldstrafen zahlen muß.

1995 war die SNCF dazu verurteilt worden, umgerechnet rund 3.000 Mark als Entschädigung an eine Vereinigung von Benutzern öffentlicher Dienste zu überweisen. Die Berufungsrichter gingen am Freitag noch einen Schritt weiter. Sie entschieden, daß die SNCF darüber hinaus auch an drei weitere Kläger jeweils umgerechnet 90 Mark zahlen muß.

Gewinner der Auseinandersetzungen sind einige Pendler aus dem Pariser Vorort Elancourt. Sie waren die ständigen Verspätungen der SNCF leid und deshalb 1995 mit Unterstützung einer Verbraucherorganisation vor Gericht gezogen. Zwei Jahre lang hatten sie genaustens über jede Verspätung der täglich von ihnen benutzten Nahverkehrszüge Buch geführt. So dokumentierten sie beispielsweise, daß Ende 1993 innerhalb von nur drei Wochen elf Züge zwischen fünfzehn und fünfzig Minuten verspätet waren – bei einer planmäßigen Fahrzeit von nur 35 Minuten.

Während der Verhandlungen vor dem Berufungsgericht hatte der Anwalt der SNCF „höhere Gewalt“ als Grund für die beanstandeten Verspätungen genannt. Er hatte angeführt, daß 40 Prozent der Verspätungen auf Mißbrauch der Alarmknöpfe zurückzuführen seien. Das Gericht überzeugte er damit allerdings nicht. Die Entscheidung werde die SNCF nun dazu zwingen, die Bahnbenutzer wie Kunden und nicht wie Vieh zu behandeln, erklärte der Anwalt der der dauernden Verspätungen überdrüssigen Gruppe von Pendlern. Das Urteil vom Freitag sprach erstmalig den Benutzern von Nahverkehrszügen ein Recht auf Entschädigung zu.

Entschädigung gab es bisher nur für Fernreisende

Die Geschäftsbedingungen der SNCF sehen bei Verspätungen lediglich Entschädigungen für Fernreisende und Benutzer der Hochgeschwindigkeitszüge TGV vor. Leute, die bei einer Fernreise mit der Bahn zwischen einer halben und einer ganzen Stunde später ankommen als fahrplanmäßig vorgesehen, bekommen in Frankreich 25 Prozent des Fahrpreises erstattet. Ist der Schnellzug sogar mehr als eine Stunde über der Zeit, so erstattet die SNCF sogar 50 Prozent des Fahrpreises. Durch das neue Urteil gestärkt, fordern die französischen Verbraucherorganisationen nun die Festschreibung von Schadensersatzgarantien auch für die Nutzer des regionalen Bahnverkehrs.

Die Deutsche Bahn AG ist von einer derartigen Kundenfreundlichkeit bisher noch weit entfernt. Bei Bahnverspätungen in Deutschland können bislang lediglich die ICE-Nutzer die Rückerstattung des Zuschlags zum normalen Tarif beantragen.

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