: „Ich bin Jugoslawe“
taz-Portrait-Serie zu bosnischen Flüchtlingen in Hamburg – 6. und letzter Teil: Dusko Kristic (25) aus Kakanj ■ Von Silke Mertins
Für eine Hamburger Kakerlake ist die, die da über den blankgeputzten Linoleoumboden der kleinen Schiffskabine wieselt, ganz schön groß. Dusko zuckt die Schultern. Die unbeliebten Krabbeltiere gehören zum Alltag auf den Flüchtlingsschiffen in Neumühlen. Vor der Kabinentür fahren Kinder kreischend mit Rollschuhen und Fahrrädern durch den Gang, Menschen rufen sich etwas zu, Fernseher laufen. Das Wetter ist heute norddeutsch-rauh, das Schiff schwankt ein bißchen. „Daran gewöhnt man sich“, sagt Dusko. Auch an den Lärm, die Enge, die Unruhe, die Trostlosigkeit.
Dusko hat ohnehin andere Sorgen. „Ich bin desertiert“, sagt der 25jährige Flüchtling aus Ex-Jugoslawien. „Ich wollte an der ethnischen Säuberung nicht teilnehmen.“ Nach Bosnien kann er nicht zurück, weil er gegen deren Armee kämpfen mußte. „Sie drohen mir mit dem Tod, falls ich zurückkehre.“ Aus der kroatischen Armee ist er desertiert. Sein Heimatort ist vernichtet, die Familie über den europäischen Kontinent verstreut. Dusko blickt auf den Linoleumboden. „Ich weiß nicht mehr weiter.“ Die Hamburger Ausländerbehörde will ihn abschieben, ganz normal nach dem Ausländergesetz. Denn Dusko weigert sich, neo-kroatischen, -bosnischen oder anderen Nationalismus mitzumachen. Und beantragt einfach keinen Paß. „Ich deklariere mich als Jugoslawe.“
Menschen ohne Paß sind realexistierende Alpträume der Hamburger Ausländerbehörde: Man kann sie nicht ohne weiteres abschieben (siehe Kasten). Dusko wurde von einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde mit aggressiven Mitteln und gegen seinen Willen in ein (völlig aussichtslosen) Asylverfahren gedrängt; die Fingerabdrücke waren schon genommen, die Bahnfahrkarte zur Verteilungsstelle nach Oldenburg hatte man ihm in die Hand gedrückt. Nur ein Anwalt konnte Schlimmeres verhindern.
Zwischen Duldung, Ungeduld, Perspektivloskeit und der kleinen Schiffskabine versucht Dusko, nicht an den Krieg zu denken. „Man muß verdrängen, damit man nicht durchdreht“, sagt er. „Das Schlimmste war, die Verletzten und Toten zu sehen.“
Eigentlich, irgendwann in einem früheren Leben, war Dusko Lokomotivführer in Kakanj, seiner Heimatstadt. Ein schöner Beruf, ein Jungentraum, wenn sein typisch serbischer Vorname nicht gewesen wäre. Von kroatischen und moslemischen Vorgesetzten wurde er schikaniert und mußte die gefährlichsten Rangierarbeiten machen. Bis zu seinem Unfall, als ein Kohlewaggon seine Hand mitriß. Seitdem ist er zu 40 Prozent behindert. Und seitdem wußten seine Kollegen, daß er eigentlich kroatischer Herkunft ist: „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“
Die Hand kann er nicht mehr belasten, trotzdem wollte ihn die Armee. Er sei bei der kroatischen Armee, sagte er, als die Bosnier ihn einziehen wollten. Irgendwann kam die wirklich und er an die Front. Daß sein Bruder verwundet wurde, brachte das Faß zum Überlaufen. Dusko suchte das Weite und tauchte unter. Dann griff die Militärpolizei ihn auf.
Dusko erzählt die Geschichte seiner Flucht nach Deutschland nüchtern und unbeteiligt. „Ganz normal“ hat er sich gefühlt, als er sich von den Menschen, die ihm nahe standen, trennen mußte. „Ganz normal“ hat er auch Heimweh, vor allem Sehnsucht nach früher, als man sich noch nicht zu einem der Nationalismen bekennen mußte; nach früher, als Duldung in Hamburg und ein Leben mit Provisorien noch nicht besser waren als die Rückkehr nach Bosnien.
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