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Nobelpreis: Händeschütteln im Immunsystem

■ Unter Kollegen galten die beiden Mediziner Peter Doherty und Rolf Zinkernagel als aussichtsreiche Kandidaten für den mit 1,7 Millionen Mark dotierten Preis

Brühl (taz) – Händeschütteln wird für den Schweizer Rolf Zinkernagel und den Australier Peter Doherty in der nächsten Zeit wohl zu den bevorzugten Tätigkeiten gehören. Doch in diesem Fall beschreibt das Gratulationsritual ganz gut, wofür die beiden 52 und 56 Jahre alten Wissenschaftler am 10. Dezember in Stockholm den diesjährigen Nobelpreis für Medizin erhalten werden: Vor knapp 21 Jahren haben sie mit einer Serie von Experimenten nämlich den Grundstein für die Entdeckung gelegt, wie sich die Abwehrzellen des Immunsystems auf der Grundlage von „Händeschütteln“ verständigen und Infektionen mit Krankheitserregern bekämpfen.

Unter Kollegen galten die beiden deshalb als „sichere Kandidaten“ für den mit rund 1,7 Millionen Mark dotierten Preis, sagt der Immunologe Klaus Rajewski von der Universität Köln. „Die ganze immunologische Gemeinschaft freut sich und ist der Meinung, daß es die Richtigen getroffen hat“, pflichtet Peter H. Krammer vom Deutschen Krebsforschungszentrum bei. Zinkernagel, der verheiratet und Vater dreier Kinder ist, und Doherty haben in den letzten Jahren bereits einige hohe Auszeichnungen erhalten.

Als frischgebackener „Dr. med.“ reiste Zinkernagel 1973 von Basel nach Canberra, zum Forschungslabor von Peter Doherty an der John Curtin School of Medical Research. Damals gab es ein zentrales Rätsel der Immunologie: Wie ist es möglich, daß das bei einem Erwachsenen etwa zwei Kilogramm schwere Immunsystem einerseits Krankheitserreger wie Viren aggressiv attackiert, andererseits aber gesunde Zellen unbehelligt läßt. Das Tor zur Antwort fanden sie, indem sie bei verschiedenen Mäusestämmen untersuchten, wie deren Immunsystem Viren abwehrt. Wenn sie Mäuse mit solchen Erregern infizierten, die eine Gehirnhautentzündung auslösten, tauchten im Blut der Tiere nach kurzer Zeit Zellen auf, die auch in Reagenzglasexperimenten virusinfizierte Zellen töteten, wenn sie „Hautkontakt“ zu ihnen hatten.

In einem entscheidenden Experiment konfrontierten sie solche Abwehrzellen eines Mäusestamms, die höchst aggressiv auf Viren reagierten, mit virusbefallenen Zellen eines anderen Mäusestammes. Das verblüffende Ergebnis: Die Abwehrzellen blieben ganz ruhig. Offenbar konnten die Abwehrzellen die Virusinfektion nur dann erkennen, wenn sie Zellen des „eigenen“ Körpers betraf.

Diesen Fund verknüpften Zinkernagel und Doherty schnell mit einem zweiten Detail: Sie wußten, daß sich die Mäusestamme durch sogenannte „Transplantationsantigene“ unterscheiden – eine Anzahl variabler Eiweißmoleküle, die auf der Oberfläche fast aller Zellen vorkommen. Offenbar benötigen die Abwehrzellen als zweites Kennzeichen die „richtigen“ Transplantationsantigene, um eine Infektion zu erkennen.

„Zinkernagels und Dohertys Fund der Doppelerkennung hatte unmittelbare Wirkungen auf die weitere Forschung“, beschrieb das Nobelpreis-Komitee das Resultat ihrer Schlußfolgerungen. Mehr als 20 Jahre nach der preisgekrönten Entdeckung zeigen sich die praktischen Konsequenzen heute unter anderem auch in der Entwicklung von Impfstoffen und neuen Therapien gegen Krebs und Autoimmunkrankheiten wie Diabetes oder multipler Sklerose. Klaus Koch

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