: Wurst bleibt Wurst
■ Der Philosoph Ernst Tugendhat sprach in Wien gelassen über den Tod
Ernst Tugendhat, 1992 emeritierter Philosophieprofessor der FU Berlin, hat die vergangenen Jahre in Lateinamerika verbracht. Vor zwei Jahren begegnete er in Chile einem alten Mann. Der erzählte, er habe eine schwere Krankheit überstanden, weil er seinem Gott das Wort gegeben habe, er würde, sollte er überleben, diesem eine Kirche bauen. Und so baute er und baute und baute.
Für Tugendhat Anlaß, sich „Gedanken über den Tod“ zu machen und diese – als Gast des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen – vorzustellen. „Warum“, fragt Tugendhat, „fürchten wir uns davor, bald zu sterben?“ Er habe das Leben bis zu der Begegnung mit dem Alten als eine Wurst betrachtet, mit einem Anfang und einem Ende. Die eine Wurst ist länger, die andere ist kürzer, aber: „Wurst bleibt Wurst.“
Warum wollte der alte Mann dann aber unbedingt weiterleben? Tugendhat fragt mit dem amerikanischen Moralphilosophen Thomas Nagel: „Ist der Tod ein Übel?“ Wenn aber der Tod ein Übel sei, ist dann das Leben ein Gut? Warum fürchten wir uns dann aber mehr, bald zu sterben, als überhaupt zu sterben? Tugendhat zitiert Tolstois Ivan Illich: „Ich habe nicht gelebt, wie ich gesollt hätte.“ Der baldige Tod nimmt uns die Möglichkeit, dem Leben Sinn zu geben.
Tatsächlich? Kaum beschritten, versperrt uns der Vortragende diesen Pfad. „Manche wollen einfach weiterleben.“
Findet er eine Antwort? Ja, aber eine tragische. „Wer sich nicht über alle Maßen wichtig nimmt, ist nicht lebensfähig. Eine Selbstzentriertheit, die aber auch das Risiko der Verzweiflung impliziert.“ Wodurch soll man sie ersetzen? Durch die Fähigkeit, loszulassen, durch Gelassenheit. Obwohl wir wissen, wie schnell solche in zynische Indifferenz umschlägt.
Der Vortrag neigt sich seinem Ende zu. Da ruft der längst auffällig gewordene Störenfried aus der ersten Reihe, ein hagerer, älterer Mann: „Die längste Wurst muß ham a End.“ Tugendhat platzt der Kragen: „Seien Sie ruhig, Sie stören“ (Selbstzentriertheit!). Doch dann huscht ihm ein Lächeln über das Gesicht. „Ich bin ja genauso“ (selbstzentrierte Gelassenheit!). Robert Misik
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