: Der Fanatismus der Schachfigur
Der Prozeß gegen die „Landshut“-Entführerin Andrawes geht weiter: Plädoyers wurden verschoben. Eine Zwischenbilanz ■ von Elke Spanner
Nahezu teilnahmslos sitzt Souhaila Andrawes zwischen ihren AnwältInnen. Sie ist anwesend, hört zu, und doch auch nicht. Mal stellt sie sich hin, streckt ihren Rücken, dann setzt sie sich wieder, stützt die Hände ins Kreuz. Der Unruhe im Sitzen steht das regungslose Gesicht konträr entgegen. Traurigkeit steht im Gesicht von Andrawes. Auch wenn sie lacht. Das wird ohnehin immer seltener.
Zumindest das Warten sollte bald ein Ende haben. Für den heutigen Montag waren die Plädoyers der beiden AnklägerInnen der Bundesanwaltschaft (BAW) angesetzt, in zwei Wochen sollte der 3. Strafsenat des Hamburger Oberlandesgerichtes (OLG) das Urteil über die ehemalige Entführerin der Luft-hansa-Maschine „Landshut“ verkünden. Jetzt zeichnet sich ab, daß sich die Beweisaufnahme verzögern wird – und damit die Ungewißheit bleibt für die einzig Überlebende des „Kommando Martyr Halimeh“: Wird sie, knapp zwanzig Jahre nach der Tat, nur wegen der unstrittigen Flugzeugentführung, wegen Geiselnahme und Angriffs auf den Luftverkehr verurteilt oder auch wegen gemeinschaftlichen Mordes an Flugkapitän Jochen Schumann sowie der versuchten Tötung zweier GSG-9-Beamter. In diesem Fall droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Andrawes weist jegliche Mitverantwortung am Tod Schumanns von sich. Der Anführer des vierköpfigen Entführungskommandos, Akacha, habe alleine beschlossen, Schumann zu erschießen. Als er den Piloten hinrichtete, woran sie bis zum Schluß nicht geglaubt habe, sei sie entsetzt gewesen, versichert die Angeklagte vor Gericht.
Auch die ZeugInnen bestätigen durchweg die untergeordnete Rolle von Andrawes; Akacha alleine habe bestimmt, was an Bord der „Landshut“ geschah. Andererseits beschreiben sie die damals 23jährige Palästinenserin als eiskalt und fanatisch. Die ehemalige Stewardeß Anna-Maria Staringer erzählt, Andrawes habe sich über Schumanns Exekution „riesig gefreut“. Sie hätte geraucht, zugesehen und gekichert. Gabriele Dillmann, ebenfalls ehemalige Lufthansa-Flugbegleiterin, belastet Andrawes: Nach dem Mord habe sie ihr „im Brustton der Überzeugung“ versichert, daß sie selbst als Anführerin „schon ganz andere erschossen hätte“. Die „Solidarität mit dem Sadisten und Folterknecht Akacha steht mir noch heute im Weg, in ihr die Frau, den Menschen zu sehen“, sagt Dillmann.
Andrawes macht keinen Hehl aus ihrem „politischen Fanatismus“ im Jahr 1977, aus ihrem entschlossenen Auftreten gegenüber den Passagieren, aus ihrem festen Glauben daran, daß die Entführung für den „palästinensischen Befreiungskampf“ wichtig und richtig gewesen sei. Daneben schildert sie ihr Leben in einer Weise, die sie nur als Opfer der jeweiligen Umstände erscheinen läßt: Als Kind im besetzten Gebiet aufgewachsen, wurden „ihre Träume immer wieder durch die Israelis zerstört“. Deshalb trat sie der palästinensischen Organisation PFLP bei, die sie an Waffen ausbildete und ihr eines Tages mitteilte, daß sie für eine besondere Aufgabe auserwählt worden sei: Die Entführung der „Landshut“. Doch während der Aktion habe sie entdeckt, daß sie auch hier in der Hierarchie „ganz unten“ gewesen sei: „Während ich mein Leben riskierte, gebrauchte man mich wie eine Schachfigur“.
Das politische Verfahren wird nicht zur Abhandlung oder gar Abrechnung mit der Geschichte bewaffneten Kampfes; im Vordergrund steht bislang die individuelle Auseinandersetzung aller damals und heute Beteiligten mit ihren Erlebnissen. Da ist die ehemalige Stewardeß, die jahrelang in psychologischer Behandlung war und noch heute kaum über die Tage an Bord der „Landshut“ sprechen kann. Und die ehemalige Passagierin Brigitte P., die nach der fünftägigen Entführung 17 Jahre lang kein Flugzeug mehr bestiegen hat. Bis ihr Mann starb. Am nächsten Tag buchte sie einen Flug. Nach Mallorca, wo damals der Horrortrip begann: „Der Tod meines Mannes war das zweite große Trauma meines Lebens. Mit diesem wollte ich zumindest das erste beerdigen“.
Das Bild von Andrawes, hin- und herschwankend zwischen stark und schwach, kämpferisch und defensiv, kippt endgültig zu dem der resignierten Angeklagten, als das Verfahren am 21. Mai seinen Höhepunkt erreicht: Kronzeugin oder nicht? Nach ihrer Festnahme in Norwegen im vergangenen Jahr hatte Andrawes die parallel in Frankfurt vor Gericht stehende Monika Haas schwer belastet: Haas habe die Handgranaten, Sprengstoffmunition und Pistolen damals nach Mallorca geschmuggelt.
Doch vor Gericht weigert sich Andrawes, das zu wiederholen, obgleich der Vorsitzende Richter Al-brecht Mentz ihr einen Straferlaß in Aussicht stellt und die Bundesanwaltschaft ihr droht, daß sie ohnehin als „orientalische Märchenerzählerin“ verrufen sei und keinen Namen mehr zu verlieren habe. Sie weigert sich, die Stimmung kippt. Mentz, zuvor noch auffällig fürsorglich um das Wohlergehen der Angeklagten bemüht, kann es nun schon einmal ignorieren, wenn sie wegen Rückenschmerzen nicht mehr sitzen oder wegen Kopfschmerzen kaum zuhören kann.
Trotz ihres Schweigens zeigt sich Andrawes' Anwalt Andreas Karow davon überzeugt, daß die Strafe nach der Kronzeugenregelung gemindert wird. Schließlich habe sie im Laufe des Verfahrens bestätigt, sich in Norwegen vor den Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) über Monika Haas geäußert zu haben. Damit wäre der Kronzeugenstatus seiner Mandantin erhalten geblieben.
Diese Regelung, so beeilt er sich hinzuzufügen, sei jedoch kein „Deal“, sondern eine „gesetzliche Möglichkeit.“ Darüber, ob außerhalb des Gerichtssaales die Verteidigung, der Strafsenat und die BAW über die Anwendung der „gesetzlichen Möglichkeit“ gedealt haben, schweigt er sich aus.
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