■ Der steife Hals: Was ist dran?
: Schrecken des offenen Autofensters

Einen richtigen Sommer erkennt man an der Anzahl der steifen Hälse, die von ihren Besitzern zwischen Mai und Oktober wehleidig und halstuchumwunden zum Onkel Doktor getragen werden. Der arschkalte 96er Sommer allerdings war arm an steifen Hälsen. Nicht mal meine Mutter hatte einen. Und die kriegt normalerweise wöchentlich ihre Sommergenickstarre. Beim Autofahren nämlich!

Das ist einfach nachzuvollziehen, denn wer sich – wie unsere Familie – nur alte, röchelnde Kleinwagen der Marke „Ohne Klimaanlage“ leisten kann, der reißt bei über 25o Außentemperatur doch gern das Autofenster auf, um sich dem erfrischenden Fahrtwind hinzugeben. Und: Batsch! Schon ist der steife Hals da! Das nennt man „einen Zug bekommen.“

Zumindest meine Mutter nennt das so. Darum rennt sie auch kontinuierlich zum Hausarzt und ruft schon von draußen: „Isch häb' schon widdä en Zug, Herr Dokdä!“ Und dann sagt unser Hausarzt freundlich: „Na, wie haben wir denn das wieder hingekriegt?“ und meine Mutter krächzt: „Audofenschdä offä gelassä, Herr Dokdä.“ Und dann schüttelt der Herr Doktor mitfühlend seinen Doktorkopf über seinem (seltsamerweise niemals steifen) Doktorhals und sagt: „Tstststs“ oder „Nananana“ oder was Hausärzte sonst so zu unverbesserlichen Patientinnen zu sagen pflegen, und verordnet ihr Rotlicht oder Halstücher oder was er sonst grade so da hat. Je nachdem, wie steif der steife Hals denn nun gerade ist. Das alles kennen Sie bestimmt aus eigener Erfahrung. Alte Bauernregel: „Bläst der Fahrtwind in den Trecker / wird der Hals steif wie ein Stecker!“ Das hat bestimmt schon Ihre Oma warnend zu Ihnen gesagt. Aber – und jetzt kommt's! – ist das denn wirklich wahr? Ist diese über Generationen überlieferte Geschichte vom steifen Hals durch Zugluft nicht eigentlich ein doofes Ammenmärchen und entbehrt jeder Grundlage?

Überlegen wir doch mal: Was passiert denn, wenn wir mit offenem Autofenster über die Landstraße düsen: Der lustige Fahrtwind pfeift fröhlich herein. Er weht angenehm durch unser Haar und umspült fröhlich unser Gesicht und unser Dekolleté. Ja und? Davon sollen wir einen steifen Hals kriegen? Eine vom Autor durchgeführte Befragung mehrerer Medizinstudenten ergab einstimmig: „Keine Ahnung, wie das passieren soll. Hab' ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht.“ Ebenfalls zum Thema befragt: zwei anerkannte Krankengymnastinnen im Hessischen: „Also ... äh ... Da fragste misch jetzt aber was, Bub ...“ „Na ja, velleischd, wenn die Haut am Hals kalt wädd un dann kommt des velleischd zu einä Kontraktion von de Muskäln an der Seit, die wo unnerkühlt is, oder so. Abbä wenn isch mir des so genaa übberleg ...“ Der Autor hat sich zwei Stunden lang Eisbeutel auf den Hals gelegt: Unterkühlung hoch zehn! Und? Nix passiert! Hals so unsteif wie ein Wollsocken!

Letzte Expertenaussage: Der Hausarzt meiner Mutter: „Steifer Hals durch Zug ist pure Einbildung! Die Leute haben sich im Büro oder im Bett den Nacken verspannt und reden sich dann ein, das sei durchs offene Wagenfenster gekommen. Blödsinn das!“ Für den Autor scheint also erwiesen: Steifer Hals durch Zug ist ein Ammenmärchen! Entwarnung für alle Kleinwagenbesitzer! Falls es dieses Jahr noch mal warm wird, fahre ich jedenfalls mit offenen Autofenstern! Man ist einfach viel zu leichtgläubig in bezug auf alte Bauernweisheiten! Es gibt ja auch Leute, die sich einreden, wenn sie vorm Schlafengehen noch Saft trinken, dann müßten sie die ganze Nacht pinkeln. Stimmt auch nicht! Frank M. Ziegler