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■ Knäste rappelvoll: Justizsenator will Hausarrest oder Führerscheinentzug statt Haft

Hamburgs Kassen sind leer und die Gefängnisse voll; die Hoffnung, die Situation für die 2900 Strafgefangenen in der Hansestadt durch einen Neubau zu entspannen, hat Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (parteilos) aufgegeben. „Rund 900 Gefangene sind in Räumen untergebracht, in denen bis zu acht Menschen schlafen“, beschrieb Hoffmann-Riem gestern das Ausmaß der Platznot. Die Enge schafft nicht nur Frust und Aggression, sondern befördere auch die Knast-Subkultur mit ihren Hierarchien und Unterdrückungsmechanismen.

Wenn die Knäste schon nicht größer, so könnte doch wenigstens die Zahl der Strafgefangenen kleiner werden, versucht Hoffmann-Riem aus der Not eine Tugend zu machen. Denn ohnehin sei die Haft kein „geeignetes Mittel zur Besserung“. Deshalb gelte es, „andere Sanktionen als die Freiheitsstrafe in Betracht“ zu ziehen. Zum Beispiel: Hausarrest mit Überwachung durch die „elektronische Fessel“, Führerscheinentzug oder gemeinnützige Arbeit („schwitzen statt sitzen“). Denn in minder schweren Fällen wie Eigentumsdelikten die Fahrerlaubnis einzuziehen, könnte eine schmerzhafte Strafe sein, jedoch ohne die negativen Folgen einer Haft, so der Justizsenator. All diese teilweise schon in anderen europäischen Ländern erprobten Alternativen zum Knast können jedoch nur durch Änderung der Bundesgesetze realisiert werden.

Viel landespolitisch Umsetzbares hatte Hoffmann-Riem mit seinem „langfristigen Konzept für den Strafvollzug“ nicht zu bieten. Man solle weitermachen wie bisher, die guten Ansätze ausbauen und nach wie vor auf (die ohnehin gesetzlich vorgeschriebene) Resozialisierung setzen. Der im offenen Vollzug eingeführte Spritzentausch wird in absehbarer Zeit nicht auf andere Haftanstalten ausgeweitet. Mitte 1998 werde man das Pilotprojekt auswerten und weitersehen. Auch eine Ausdehnung der therapeuthischen Angebote für Gefangene, insbesondere Sexualstraftäter, wird es nicht geben. Zwar brauche man mehr als „bloße Verwahrung“, doch Therapie sei kostspielig und könne zudem nicht bei allen angewandt werden.

Mit den wenigen Mitteln für Baumaßnahmen – für 1997 sind es 35 Millionen – will Hoffmann-Riem eine „Differenzierung der Unterbringung“ finanzieren. Einzelne Stockwerke sollen beispielsweise zu drogenfreien Stationen umgebaut werden. Überbelegung könnte durch Ausweisung straffällig gewordener Ausländer und Verfahrenseinstellung gegen Auflagen gemindert werden.

Ein „Konzept“ konnte die GAL beim Justizsenator nicht erkennen, so der justizpolitische Sprecher Manfred Mahr. Bei den entscheidenen Handlungsmöglichkeiten habe Hoffmann-Riem „gekniffen“. Dies gelte besonders für die von der Drogenkommission geforderten Ausweitung des Substitutionsprogramms für die über 30 Prozent drogenabhängiger Knackis.

Silke Mertins

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